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Entgeht Premier Johnson seinem Fiasko?

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Das britische Parlament will Boris Johnson dazu zwingen, in Brüssel um einen Brexit-Aufschub anzusuchen - für den Premier selbst wäre das eine Demütigung. Die Lage in London bleibt verworren. Fragen und Antworten zum Brexit-Chaos.


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Nur noch ein Monat bleibt, bis das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausscheiden soll. Diesmal will die Regierung, unter Boris Johnson, den auf 31. Oktober datierten Austritt um buchstäblich jeden Preis erzwingen. Aber auch in dieser Etappe der Schlacht ist noch alles möglich an der Brexit-Front.

Wo stehen die Kontrahenten zu Beginn dieser Woche?

Premier Boris Johnson und sein Kabinett beharren darauf, dass die britische EU-Mitgliedschaft in der Nacht zum 1. November erlöschen muss - notfalls auch ohne Deal, ohne Vereinbarung mit der EU. Oppositionsparteien und konservative Tory-Rebellen sind hingegen entschlossen, einen solchen harten Brexit zu verhindern. Ein derart "katastrophaler Schritt" müsse mit allen Mitteln gestoppt werden, meinen sie.

Könnte das den Opponenten gelingen?

Sie bilden die Mehrheit im Unterhaus, und sie haben bereits ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung im Prinzip zwingt, die EU um eine dreimonatige Verlängerung der Austrittsfrist zu bitten, falls bis zum 19. Oktober nichts mit Brüssel vereinbart ist. Das Datum haben sie als Stichtag gewählt, weil am 17. und 18. Oktober ein Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel stattfindet. Dort sollte klar werden, ob eine Vereinbarung möglich ist oder nicht.

Gibt es für ein Abkommen noch eine Chance?

Optimistisch ist niemand. Aus Sicht der EU hat London ja in den letzten Wochen auch keine wirklichen Verhandlungen geführt. Eine Weile schien es, als ob Johnson eine alternative Vereinbarung zum Offenhalten der Grenze in Irland im Blick hatte, bei der Nordirland vorübergehend Teil des Binnenmarkts und der Zollunion der EU bleiben würde. Aber konkretisiert hat sich das bisher nicht. Angeblich soll diese Woche noch ein Plan vorgelegt werden. Skeptiker in London glauben allerdings, dass der Premier an einem Vertrag mit der EU nie wirklich interessiert war.

Also müsste er, laut Gesetz, die EU um Aufschub bitten?

Dass er das tun wird, streitet er nachdrücklich ab - obwohl er gleichzeitig versichert, dass er nicht gegen geltendes Recht verstoßen würde. Das eine schließt das andere freilich aus. Seine Gegner fragen sich darum, ob er glaubt, das Aufschub-Gesetz irgendwie umgehen zu können.

Wie könnte der Premier das tun?

Ein paar Hintertürchen gäbe es unter Umständen. Spekuliert wird zum Beispiel darüber, dass Johnson zusammen mit einem formellen Gesuch um einen Brexit-Aufschub zugleich einen zweiten Brief nach Brüssel schicken könnte, der es der EU durch neue Forderungen unmöglich machen würde, dem Ansuchen zuzustimmen. Eventuell könnte der Premierminister auch über den Privy Council, den Kronrat, das erlassene Gesetz übergehen. Oder er könnte, nach kontinuierlich aufgeputschten Unruhen, sogar den Notstand ausrufen. Mittlerweile traut jeder Johnson so gut wie alles zu.

Wie will sich die Opposition dagegen wehren?

Nachdem das Oberste Gericht eine vom Premier verfügte fünfwöchige Parlamentssuspendierung für ungesetzlich erklärt hatte, haben die Oppositionsparteien etwas Zeit gewonnen - zumal sie den Tories keine unterhausfreien Tage bewilligt haben für deren Manchester-Parteitag, der am Wochenende begann und bis Mittwoch stattfindet. Diverse Ideen, wie Johnsons Spielraum noch mehr eingegrenzt werden könnte, werden erörtert. Einige Kritiker des Premiers hoffen auch jetzt noch, dass es zu einem zweiten Referendum kommt.

Wäre auch ein Misstrauensantrag möglich?

Eine parlamentarische Misstrauenserklärung, mit der Johnson seines Amtes enthoben würde, gilt als politische Notbremse. Auch dies wird mittlerweile ernsthaft diskutiert. Bisher ist es nicht dazu gekommen, weil sich die Johnson-Gegner im Unterhaus auf keinen Kandidaten einigen konnten. Die Labour Party geht davon aus, dass ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn als Oppositionsführer die Rolle eines Übergangspremiers übernehmen müsste. Liberaldemokraten und Tory-Rebellen lehnen das ab.

Warum? Was wollen sie stattdessen?

Sie möchten Corbyn keinen politischen Vorteil verschaffen. Stattdessen wollen sie jemanden von den Hinterbänken, wie den Tory-Veteranen Ken Clarke, ins höchste Amt katapultieren. Die Idee ist, dass ein solcher Premier diese Funktion nur für ein paar Tage ausüben würde - lang genug, um mit der EU den erhofften Aufschub zu vereinbaren und so ein No-Deal-Fiasko zu verhindern. Unmittelbar danach würde er Neuwahlen ausschreiben. Oder erst eine neue Volksabstimmung ansetzen und dann die Unterhauswahl.