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Entlassen, weil homosexuell?

Von Martyna Czarnowska

Politik

Ein schwuler Mitarbeiter des polnischen Fernsehens wurde gefeuert. Nun sprach ein EU-Gericht sein Urteil dazu.


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Christbaum schmücken, im Schnee balgen, Geschenkevergabe und freudige Umarmungen - es ist eines der kitschigen Weihnachtsvideos, wie sie auf YouTube und anderen sozialen Kanälen in der entsprechenden Jahreszeit zuhauf kursieren. Die Protagonisten sind zwei Männer, weitere gleichgeschlechtliche Paare treten ebenso auf. In ihrem Lied werben Jakub und Dawid für Toleranz gegenüber Homosexuellen.

Kann das ein Grund für eine Entlassung sein? Anscheinend schon, stellte einer der Männer fest, als sein Auftraggeber unmittelbar nach der Veröffentlichung des Videos seinen Vertrag auslaufen ließ. Der Mann arbeitete Jahre lang als Selbständiger für das polnische öffentliche Fernsehen (TVP), immer wieder wurde sein Dienstvertrag verlängert - bis zum Dezember 2017, als der Clip ins Netz gestellt wurde. Der Mann klagte wegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und forderte Schadensersatz. Der Fall ging bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Gesellschaftspolitische Brisanz

Am Donnerstag urteilten die Richter in Luxemburg, dass die sexuelle Ausrichtung keinen Grund darstelle, aus dem der Abschluss eines Vertrags mit einem Selbständigen abgelehnt werden dürfe. Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie umfasse nämlich auch diese Art von Tätigkeit. Außerdem könne sehr wohl von "Entlassung" die Rede sein, auch wenn eine Person einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.

Vordergründig ging es dem Warschauer Gericht, das die Angelegenheit an den EuGH weitergeleitet hatte, um arbeitsrechtliche Fragen. Kann es Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot geben? Kann diesem die Vertragsfreiheit entgegenstehen, die Unternehmen haben sollten?

Zentral bei der Untersuchung waren die EU-Vorgaben zur Antidiskriminierung, die auch das EU-Mitglied Polen mitzutragen hat. Die Richtlinie "zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" wendet sich gegen Benachteiligung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Nach Auslegung des EuGH können sich eben auch Selbständige darauf berufen. Und zur Vertragsfreiheit heißt es: Würde diese erlauben, einen Vertragsabschluss mit einer Person wegen ihrer sexuellen Orientierung abzulehnen, würde das dem Verbot der Diskriminierung wegen eines solchen Grundes die "praktische Wirksamkeit" nehmen.

Jedoch steht hinter der juristischen die gesellschaftspolitische Dimension. Diese berührte Generalanwältin Tamara Capeta bereits in ihren Schlussanträgen für den EuGH, auf die sich die Richter in ihrem Urteil am Donnerstag stützten. Capeta räumte ein, dass ihr die Prüfung und Abwägung in dem Fall gewisse Schwierigkeiten bereite. Sie fragt sich nämlich, ob die Aushebelung eines Diskriminierungsverbots überhaupt Teil der Vertragsfreiheit sein könne - "in einer Gesellschaft, die auf dem Wert der Gleichheit beruht".

Ringen um Gleichstellung

Doch die Position homo-, trans- und anderer nicht-heterosexueller Menschen, zusammengefasst mit dem Kürzel LGBTIQ, birgt in Polen Konfliktstoff. Während ein Teil der Bevölkerung das Gebot der Gleichstellung nicht anzweifelt, wird in rechtsnationalen Kreisen von einer "Gender- und LGBTIQ-Ideologie" gesprochen, die etwa für die traditionellen Vorstellungen von Familie und Kindeserziehung eine Gefahr darstelle. Das ist auch aus dem Mund von Vertretern der nationalkonservativen Regierung rund um die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) zu hören. Die Möglichkeit einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder gar Homo-Ehe, in vielen EU-Ländern bereits Realität, ist in Polen denn auch nicht in Sicht.

Doch war es nicht das, das die EU-Kommission dazu veranlasste, Verfahren gegen Polen einzuleiten. Vielmehr waren es unter anderem die "LGBT-freien Zonen", die manche Kommunen und Regionen vor wenigen Jahren ausgerufen hatten. Mittlerweile haben die meisten das wieder rückgängig gemacht - nicht zuletzt deswegen, weil sie EU-Förderungen bedroht sahen.

Dass EU-Geld an EU-Standards geknüpft wird, bekommen Polen und Ungarn nun auch im Ringen um die Corona-Wiederaufbauhilfen zu spüren. Es geht um die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien - und zu denen gehören nun einmal auch Diskriminierungsverbote.