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Es ist die schwerste Prüfung für den Präsidenten und Nobelpreisträger Abiy: Wenn die Kämpfe in Tigray nicht bald enden, droht ein Flächenbrand.
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Äthiopien wurde in den vergangen Jahren immer wieder als afrikanisches Erfolgsmodell gepriesen. Das Land am Horn von Afrika industrialisierte sich zusehends, Investoren wurden angezogen, Fabriken errichtet und auch manche Kleinbauern konnten von einer auf sie zugeschnittenen Agrarbörse profitieren. Vor der Corona-Krise betrug das Wirtschaftswachstum zehn Prozent und trotz immer noch weit verbreiteter harscher Armut hatte sich für viele Bürger die Perspektive verbessert.
Als dann Abiy Ahmed 2018 das Präsidentenamt übernahm, öffnete sich das Land auch politisch. Politische Gefangene wurden freigelassen und die Zensur gelockert. Für seine Aussöhnungspolitik mit dem Nachbarland Eritrea, mit dem sich Äthiopien einen jahrzehntelangen opferreichen Konflikt geliefert hatte, erhielt Abiy 2019 gar den Friedensnobelpreis.
Doch nun droht es Äthiopien zu zerreißen, und der 44-Jährige steht wohl vor der bisher schwersten Prüfung seiner Präsidentschaft. In der Region Tigray herrscht seit Anfang des Monats Krieg. Die Armee steht der "Volksbefreiungsfront von Tigray" (TPLF) gegenüber. Abiy, selbst früher Offizier, hatte der TPLF vorgeworfen, einen Militärstützpunkt angegriffen zu haben und daraufhin an die Streitkräfte den Einsatzbefehl erteilt.
Was sich seitdem genau in der umkämpften Region abspielt, ist unklar, weil unabhängige Beobachter nicht hineinkommen. Jedenfalls fliegt das Militär Luftangriffe, aus Krankenhäusern gibt es Berichte von hunderten Verletzten und hunderte Menschen sollen auch schon gestorben sein. Die UNO zählte bereits die ersten 7000 Flüchtlinge, die in Richtung Sudan unterwegs sind.
Relativ offensichtlich ist allerdings der politische Hintergrund der Kämpfe. Es handelt sich um einen Macht- und Verteilungskonflikt mit einer starken ethnischen Komponente.
Ethnische Konflikte gefährden Einheit
Tigray haben in dem Vielvölkerstaat mit 110 Millionen Einwohnern lange die Politik dominiert. Sie waren 1991 federführend am Sturz des kommunistischen Diktators Mengistu Haile Mariam beteiligt und besetzten hernach viele wichtige Positionen in Verwaltung und Militär. Das löste Unmut bei Angehörigen anderer Ethnien aus, zumal die Tigray nur sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auch aufgrund von Massenprotesten gegen die Vormachtstellung der Tigray wurde mit Abiy jemand Präsident, der zugleich der Ethnie der Oromo, mit 34 Prozent die größte Gruppe, sowie der Amhara, mit 27 Prozent zweitgrößten Bevölkerungsgruppe, angehört.
Tatsächlich entfernte Abiy viele Tigray aus Regierungspositionen. Dabei sprach er sich aber für ein Staatsverständnis aus, dass die Idee eines geeinten Äthiopiens über die ethnische Identität stellt - gleichzeitig kochten aber ethnische Konflikte immer mehr hoch.
Die TPLF, die früher treibende Kraft des Regierungsbündnisses war, ist nun nicht einmal mehr Teil davon. Endgültig eskalieren ließ sie den Streit im August dieses Jahres, als sie in Tigray Wahlen abhalten ließ, obwohl Abiy wegen der Corona-Pandemie den Wahltermin verschoben hatte.
Nun verspricht Abiy, dass der Konflikt bald beendet sein werde. Dass die Armee die bestens trainierte TPLF, die bis zu 250.000 Kämpfer haben soll, schnell besiegen kann, glaubt kaum jemand. Offenbar will sie Abiy schwächen, um dann aus einer Position der Stärke in Verhandlungen zu gehen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, warum Abiy bisher internationale Vermittlungsangebote, etwa von der Afrikanischen Union, abgelehnt hat. Er will zuerst militärisch Fakten schaffen.
Es ist dies allerdings eine hochriskante Taktik. Je länger sich der bewaffnete Konflikt hinzieht, desto mehr droht er zu eskalieren. Außerdem könnte er sich zum Flächenbrand ausweiten. Auch in anderen Landesteilen gärt es, und Scharfmacher heizen dabei ethnische Konflikte an.
Es sind entscheidende Tage für Äthiopien, es steht viel auf dem Spiel: Nicht nur der Frieden, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung. So lange gekämpft wird und die Lage unsicher bleibt, werden sich Investoren zurückhalten. Und humanitär droht in den umkämpften Gebieten bereits eine Katastrophe.(klh)