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"Entscheidende Tage für Europa"

Von Paul Zabloudil

Europaarchiv

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Auch ohne die Krise im Kosovo steht Europa nach Ansicht zahlreicher Brüsseler Politiker in diesen Tagen am Scheideweg. Der Rücktritt der EU-Kommission und das Ringen um die Agenda 2000 haben eine

Krise heraufbeschworen, die für die Union heilsam sein kann. Wenn es aber auf dem Berliner Gipfel · oder einem der Folgetreffen · nicht gelingt, sich in den für die Zukunft Europas entscheidenden

Fragen zu einigen, könnte eine Stagnation der EU verbunden mit weiter wachsender Euro-Skepsis in der Bevölkerung die Folge sein.

EU-Ratspräsident Joschka Fischer sprach im Vorfeld des Berliner Gipfels vor dem Europaparlament von "entscheidenden Tagen" für Europa. Vor österreichischen Journalisten konstatierte er: "Entweder

wird eine neue Ära anbrechen, oder die Krise wird wieder aufbrechen". Die Krise um die Kommission sei nicht nur eine Frage der Institution selbst, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems.

Fischler warnte zugleich vor einem neuen Tauziehen um die Agenda 2000: "Ein Nicht-Abschluß könnte auch Auswirkungen auf den Euro haben".

Nach Ansicht der Europa-Parlamentarier, die im Vorfeld des Berliner Gipfels tagten, soll möglichst noch vor dem 15. Mai, wenn die Sitzungsperiode des alten Parlaments endet, eine neue,

interimistische Kommission bestellt werden. Diese soll im Idealfall im Spätherbst vom neugewählten EU-Parlament erneut für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt werden. EU-Parlamentspräsident Jose

Maria Gil-Robles betonte, die letzte Entscheidung liege bei den Mitgliedsstaaten. Sein Vorgänger Klaus Hänsch begrüßte die Ankündigung der EU-Präsidentschaft, daß die Ernennung der neuen Kommission

in enger Abstimmung mit dem Parlament erfolgen solle.

Viele EU-Politiker sind dafür, daß die interimistische Kommission bereits nach den neuen Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages bestellt werden solle. In diesem Fall hätte der Kommissionspräsident

größere Vollmachten bei der Bestellung der Kommissare, er könnte auch Vorschläge der Mitgliedsstaaten zurückweisen. Andererseits wären die Kontrollmöglichkeiten des EU-Parlaments erweitert. Offen ist

auch die Frage, ob einige unbelastete Kommissare in die neue Kommission übernommen werden sollen. Im Europa-Parlament besteht ein starker Wunsch nach einem völlig erneuerten Gremium.

Dazu meinte Agrarkommissar Franz Fischler, mit neuen Gesichtern allein könne man nicht für fünf Jahre eine neue Kommission bilden. Auch Hänsch "kann nicht einsehen, daß man die Erfahrungen einiger

jetziger Kommissare nicht nutzen soll". Andere EU-Abgeordnete wie der Liberale Friedhelm Frischenschlager warnten dagegen vor möglichen "Leichen im Keller" der alten Kommissare. Ein angestrebter

zweiter Bericht des Weisenrates könnte neue belastende Fakten zu Tage fördern und die künftige Kommission damit erneut diskreditieren.

Viele Politiker in Brüssel räumen jedoch ein, daß nicht allein die Kommission für das jetzige Schlamassel verantwortlich ist. Die Kommission könne nicht nur politische Verantwortung tragen, sondern

müsse auch die Mittel bekommen, um diese wahrnehmen zu können, forderte Hänsch. Fischler erinnerte daran, daß im Rahmen der geplanten Einsparungsmaßnahmen zahlreiche Beamte abgebaut werden sollen,

womit die Arbeitsbelastung steige. Einig waren sich Hänsch und Fischler, daß die Beziehungen zwischen Kommission, Parlament und Europäischem Rat auf eine neue Stufe gestellt werden müßten. Neben der

Neubestellung der Kommission lastet der Streit um die Agenda 2000 schwer auf der EU. Vor allem wegen der EU-Erweiterung ist ein Kompromiß bei der finanziellen Lastenaufteilung erforderlich.