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Entscheidung an den Seitenlinien

Von Ronald Schönhuber

Politik

Laut dem Klimaexperten Stefan Schleicher wird die Welt nicht durch den großen UN-Gipfel in Paris gerettet werden.


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"Wiener Zeitung": Bei den Klimakonferenzen der vergangenen Jahre hat es mehr Misserfolge als Erfolge gegeben. Ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen die Erderwärmung scheiterte zumeist an den Eigeninteressen der mächtigen globalen Akteure. Wird nun beim am Montag in Paris beginnenden Klimagipfel die Welt gerettet werden?Stefan Schleicher: Da würde ich eine größere Frage darüberstülpen, und zwar die Frage: Was hat sich geopolitisch seit Mitte der 90er Jahre getan? Mitte der 90er Jahre hat es eine ganz große Bereitschaft zu einer multilateralen Politik gegeben. Doch diese Bereitschaft ist aus den unterschiedlichsten Gründen zurückgegangen und wir haben nun eine Situation, wo die großen Player nicht kooperationsbereit sind. Das beginnt mit China, das ausdrücklich deklariert, dass es keine Einmischung in innere Angelegenheiten - und dazu zählt auch der Treibhausgasausstoß - duldet. In den USA ist die Sache doppelbödig, denn Präsident Obama demonstriert ja nach außen eine große Bereitschaft, sein Land stärker in eine konstruktive Klimapolitik einzubinden. Es hat aber bereits vor einer Woche von seinem Außenminister John Kerry ganz starke Signale gegeben, dass die USA nicht bereit sind, irgendwelche international verbindlichen Verträge einzugehen. Und an dritter Stelle haben wir die Europäische Union, die auch in den Bereichen Energie und Klima immer weniger in der Lage ist, mit einer Stimme zu sprechen. Vor allem Polen hatte sich zuletzt sehr zurückhaltend gezeigt, was verbindliche Vereinbarungen anbelangt. China, die USA und die EU sind aber zusammen für weit mehr als 50 Prozent der Emissionen verantwortlich.

Dennoch liegt mit zahlreichen Versprechen bei der Treibhausgasreduktion diesmal aber deutlich mehr auf dem Tisch als bei den vergangenen Klimakonferenzen?

Wir erleben derzeit den Übergang von der Kyoto-Architektur zur Kopenhagen-Architektur, die später vielleicht einmal Paris-Architektur heißen wird. Die neue Architektur, die eine Lehre aus dem Misserfolg des Kopenhagener Klimagipfels 2009 ist, hat auf den ersten Blick viele positive Elemente. Und das positivste ist zweifellos, dass sich alle Staaten wirklich auf Augenhöhe zusammensetzen. Die Einteilung in Industrieländer und Nicht-Industrieländer, wie so noch in der Kyoto-Architektur vorhanden war, ist weggefallen. Der Preis dafür ist aber, dass es keine gemeinsamen Verbindlichkeiten gibt. Jeder Staat legt im Rahmen seiner Klimaschutzzusagen vor, zu welchen Emissionseinsparungen er bereit ist und welche Maßnahmen er dafür setzt. Das sind aber wirklich nur Absichtserklärungen ohne Konsequenzen. Wenn zum Beispiel in den USA die Republikaner an die Macht kommen, dann rührt sich in Sachen Klimaschutz künftig überhaupt nichts mehr, dann wird das, was Obama gestartet hat, sofort aufgegeben. Schon jetzt tobt ein Kampf zwischen den Republikanern und Obama, weil ja der Präsident mit sehr trickreichen Regulierungen versucht, den Kongress zu umgehen.

Was hat dazu geführt, dass die großen Schwellenländer ihre Strategie geändert haben und sie jetzt eigene Klimaschutzziele vorlegen?

China hat durchaus Gründe, sich zu engagieren, denn vor allem bei den bodennahen Emissionen ist die Situation in der Volksrepublik mittlerweile katastrophal. Das ist innenpolitisch ein großes Problem geworden. Dementsprechend gibt es in China ganz klar sichtbare Schritte, sich von der extremen Kohleabhängigkeit zu lösen. Die Volksrepublik ist mittlerweile zum weltweitgrößten Produzenten von erneuerbaren Energien aufgestiegen. Die nächste große Weichenstellung wird Indien sein. Dort ist die Diskussion über den richtigen Weg noch wesentlich offener, aber es könnte gut sein, dass China von Indien lernen wird.

Indien und China haben ihre Emissionsreduktionsziele allerdings an das Wirtschaftswachstum gekoppelt. Damit werden die Emission dort, aber auch global, noch viele Jahre lange steigen.

Die Analysen, die wir derzeit vorliegen haben, deuten darauf hin, dass der Gipfel des Emissionsausstoßes erst in den 2030er Jahren erreicht werden wird. Damit das plakative Ziel eines auf 2 Grad beschränkten Temperaturanstiegs erreicht wird, müsste der Höhepunkt des Treibhausgasausstoßes allerdings schon in den 2020er Jahren liegen. Beim ersten Hinschauen werden wir also scheitern. Beim zweiten Hinschauen sieht es aber besser aus, weil es abseits der über die Vereinten Nationen laufenden Klimapolitik viele Hinweise auf einen nachhaltigen Wandel gibt. Alle großen Banken empfehlen ihren Kunden etwa, nicht mehr auf Investitionen im Bereich fossiler Energie zu setzen, weil diese Investments über ihre Lebensdauer hinweg nicht mehr kompetitiv sein werden. Heute werden Kohlekraftwerke in wesentlich geringere Zahl gebaut, als das noch vor fünf Jahren der Fall war. Die großen Ölkonzerne haben sich auch aus der Arktis zurückgezogen, obwohl sie sich dort einige Zeit lang sehr bemüht haben. Es sind also interessanterweise Überlegungen der wirtschaftlichen Rentabilität, die zu einem Ausstieg aus der fossilen Energie führen.

Im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll soll die Reduktion von Treibhausgasen diesmal auf freiwilliger Basis erfolgen. Es gibt keine Sanktionen und es ist auch noch nicht klar, wie das alles überwacht werden soll. Könnte es dennoch eine rechtsverbindliche Komponente in diesem Abkommen geben?

Die EU geht mit dem Anspruch nach Paris, dass das Ganze eine Rechtsverbindlichkeit bekommen soll. Innerhalb des UN-Prozesses herrscht aber das Prinzip der vollen Einstimmigkeit, daher ist das angesichts der chinesischen und US-amerikanischen Positionen eigentlich unvorstellbar. Es gibt aber unter den Juristen, die damit befasst sind, nun Versuche, Texte so zu formulieren, dass diese nach außen hin den Eindruck erwecken, es wären international verbindliche Abkommen.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Sie wenig optimistisch für Paris sind, aber optimistisch für die Welt?

Das stimmt. Trotz alledem ist Paris was wert, denn Paris bringt auf jeden Fall die große mediale Aufmerksamkeit. Schon allein die Tatsache, dass hier am Montag 150 Staats- und Regierungschefs eintreffen werden, macht die globale Bedeutung dieser Konferenz klar.

Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel und am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität.