Am Sonntag gibt die SPD bekannt, ob ihre Mitglieder für eine große Koalition in Deutschland gestimmt haben.
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Berlin/Wien. Nichts geht mehr, zumindest im Postfach des SPD-Vorstandes. Bis Freitag um 23.59 Uhr konnten die knapp 464.000 Mitglieder der Sozialdemokraten ihrer Spitze die Stimmkuverts retournieren und damit die Frage beantworten, ob die SPD eine Koalition mit der konservativen Union bilden soll. Ganz Europa wartet auf die Antwort. Sonntagfrüh wird sie verkündet - 160 Tage nach der Bundestagwal im September 2017. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Regierungsbildung so lange gedauert.
Ein Ja der Genossen zur "GroKo" ist nicht ausgemacht. Durch die Partei zieht sich ein Riss, der selbst durch die Familie von Niedersachsens SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil geht. Nicht alle Angehörigen stimmten für die Koalition, gestand Weil in einem Interview mit der "Welt" ein. Im bedeutendsten Landesverband, Nordrhein-Westfalen, hielten sich Anhänger und Gegner die Waage. Ein Viertel aller Mitglieder gehören diesem Landesverband an. In den ostdeutschen Ländern sei die Stimmung tendenziell Anti-"GroKo", allerdings vereinen diese Verbände wenige Mitglieder. Zu einem Ja tendierten Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, in Bayern sei die Lage unklar. Trifft dieses in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" skizzierte Stimmungsbild zu, behalten die Befürworter von Schwarz-Rot nur knapp die Oberhand.
Minister, Parteivize und Ministerpräsident appellieren
Dementsprechend rückten am Freitag nochmals Spitzenvertreter aus und werben für den Koalitionsvertrag. Ministerpräsident Weil warnt: "Die Menschen würden es uns verübeln, wären wir unfähig, in einer verhältnismäßig komfortablen Lage des Landes eine Mehrheitsregierung zu bilden. Und zwar völlig zu Recht." Vizeparteichef Thorsten Schäfer-Gümbel gesteht ein, der Gang in die Regierung sei zweifellos ein schwieriger Weg für die SPD. Aber sich zu verweigern würde bedeuten, einen noch schwierigeren Weg zu gehen. Und Außenminister Sigmar Gabriel verweist auf die vergangenen vier Jahre in der Koalition, in denen die SPD während großer Krisen - von Brexit bis Donald Trump - Deutschland auf Kurs gehalten habe.
Bloß honorierten dies die Wähler bei der Bundestagswahl nicht. Jene 20,5 Prozent, das schlechteste Resultat seit 1949, galten erst auch der Parteispitze als Auftrag, in die Opposition zu gehen - angekündigt unter frenetischem Jubel der Genossen in der Parteizentrale, als ob die SPD soeben die Kanzlerschaft zurückerobert hätte. Dass sich CDU, CSU, FDP und Grüne nicht auf eine "Jamaika"-Koalition einigen konnten, war nicht die Schuld der Sozialdemokraten. Wohl aber, dass sie das Treiben ihres überforderten Parteivorsitzenden Martin Schulz zu lange billigten. So beharrte die SPD auf der Oppositionsrolle, um dann doch einzuknicken. Schulz tat sich sowie der Partei einen Bärendienst, indem er erst großspurig verkündete, er werde einem von Kanzlerin Angela Merkel erneut angeführten Kabinett nicht angehören. Als dann nach Sondierungsgesprächen und einem Sonderparteitag der Koalitionsvertrag ausgehandelt war, wollte Schulz von seinem Versprechen nichts mehr wissen; stattdessen plante er, das Außenministerium zu führen. Die mittlerweile designierte Parteivorsitzende Andrea Nahles ließ Schulz gewähren. Erst der Protest der Basis führte zum vollständigen Rückzug von Martin Schulz. Dazu kam noch die Debatte, ob Außenminister Gabriel - beliebtester Politiker Deutschlands, aber nicht teamfähig - dem nächsten Kabinett angehören soll.
Nur 35 Prozent der Bürger halten die SPD für glaubwürdig
Die SPD-Spitzenvertreter dürfen sich also nicht wunden, dass das Ansehen der Partei massiv gelitten hat. Lediglich knapp mehr als ein Drittel der Bürger halten die Sozialdemokraten für glaubwürdig, ergab der ARD-Deutschlandtrend. Selbst unter den eigenen Wählern sind es nur acht von zehn Personen. Nur unter dieser Voraussetzung konnte ein politischer Niemand wie der Chef der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, zur Stimme der Koalitionsgegner aufsteigen. Der 28-jährige Student und Berliner Kommunalpolitiker sieht nach acht Jahren Juniorpartnerschaft unter Merkel in den vergangenen zwölf Jahren den einzigen Weg der Erneuerung im Gang in die Opposition. 24 Stationen in ganz Deutschland hat er alleine im Februar bei seiner "NoGroko"-Tour absolviert. Der Parteivorstand beschränkte sich auf sieben Regionalkonferenzen.
Immerhin hat die Parteispitze die so schädlichen Personaldiskussionen eingedämmt. Sollte die SPD-Basis Ja zur Koalition sagen, wird nicht gleich am Sonntag die Ministerliste bekannt gegeben. Einen "Plan B" habe sie nicht, sollten die Mitglieder doch gegen die Regierungsbeteiligung stimmen, so Nahles. Die Alternativen wären dann eine CDU/CSU-Minderheitsregierung, Neuwahlen oder nochmalige Gespräche für ein "Jamaika"-Bündnis. Tag 160 wird in diesen Fällen nicht der Letzte gewesen sein, bis Klarheit über die künftige Regierung herrscht.