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"Die Nebensilbe in Takt neun bitte auf ein geheimes Plätzchen legen. Und dort vergessen. Und versuchen Sie, den Klang des i in die Form einer Kartoffel zu bekommen." Es waren beim Pilotprojekt vor zwei Jahren sehr blumige Sprachbilder, zu denen Chorleiter Heinz Ferlesch griff. "Versuchen Sie, dieses h zu singen wie ein alter Hund, der gerade noch bellen kann. Und singen Sie nicht mit dem Kapital, sondern mit den Zinsen. Sofern es so etwas noch gibt."
Möglichst anschaulich mussten seine Gestaltungswünsche auch sein - schließlich galt es, an drei Probentagen aus einer Gruppe von 350 bunt zusammengewürfelten Laien-Sängerinnen und -Sängern einen bühnenreifen und möglichst differenziert agierenden Chor zu formen. Das Ziel, bei einer Aufführung von Bachs "Matthäuspassion" im Wiener Konzerthaus dann gemeinsam mit Profi-Musikern die Choräle quasi als Stimme des Volkes mitzugestalten, ging klanglich voll auf. Und war nicht nur für die Mitwirkenden bereichernd. Am Palmsonntag geht das Projekt in die zweite Runde, diesmal mit Bachs "Johannespassion".
Kunst und Kultur nicht nur zu konsumieren, sondern selbst mitzugestalten, liegt im Trend. Das Publikum ergreift die Möglichkeiten zu begleiteten Selbstermächtigung dankbar - für das aktuelle Projekt gibt es trotz der Aufstockung auf 450 Stimmen in allen Lagen nur noch Restkarten.
"Jetzt schalten Sie zurück von der Vierten in die Sechste. Cruisen Sie durch den Choral!" Auch so kann Entschleunigung klingen.