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Entschuldung in weiter Ferne

Von Sophia Freynschlag

Politik

Immer mehr Arbeitslose unter den Schuldnern - viele können sich eine Privatinsolvenz nicht leisten.


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Wien. Der Job ist weg, die Fixkosten für Miete, Strom und Heizung bleiben aber gleich - und ist das Ersparte erst einmal aufgebraucht, wird das Konto überzogen. "Durch die steigende Arbeitslosigkeit können immer mehr Menschen ihre Schulden nicht zahlen", sagt Hans W. Grohs, Geschäftsführer der asb, der Dachorganisation der österreichischen Schuldenberatungen. Anstatt nach dem Jobverlust rechtzeitig zu reagieren und das Haushaltsbudget zu prüfen, versuchen viele Schuldner, ein Loch mit dem anderen zu stopfen. Mit den Gläubigern - von der Bank bis zum Mobilfunkbetreiber - zu reden, werde häufig übersehen.

Weniger Privatinsolvenzenals Alarmsignal

"Der Anteil der arbeitslosen Klienten und Klientinnen ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen", sagt Grohs. Im Vorjahr waren 41 Prozent der Klienten in den Schuldenberatungen ohne Job, 2008 waren es noch 28 Prozent. Die zweitgrößte Gruppe bilden mit fast 20 Prozent gescheiterte Selbständige. Insgesamt haben staatlich anerkannte Schuldenberatungen im Vorjahr knapp 60.000 Menschen unterstützt, 2000 mehr als im Jahr zuvor.

Deutlich geringer ist dagegen mit 20,7 Prozent der Anteil der Arbeitslosen in Privatinsolvenz. Dieser Anteil ist gegenüber 2013 um 2,6 Prozentpunkte gestiegen - auch wenn der Weg zur Entschuldung schwieriger ist.

Denn aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit können sich viele Überschuldete ohne Einkommen eine Entschuldung über einen Zahlungsplan schlicht nicht mehr leisten, heißt es vom Gläubigerschutzverband Creditreform: "Diese Personen bleiben auf das Exekutionsminimum gepfändet und haben keine ökonomische Zukunft." Pro Werktag meldeten im Vorjahr 38 Personen Privatinsolvenz an, die Gesamtzahl ist laut Creditreform um sechs Prozent auf 9500 gesunken - auf den tiefsten Stand seit dem Jahr 2007. Einerseits ist eine Schuldenregulierung für immer mehr Personen nicht leistbar, andererseits sind Banken bei der Vergabe von Konsumkrediten vorsichtiger geworden, sagt Creditreform-Geschäftsführer Gerhard Weinhofer.

Für heuer rechnet Weinhofer mit einem weiteren Rückgang auf rund 9000 Insolvenzverfahren. In den vergangenen Jahren hatte sich die Anzahl der Verfahren seit der Einführung im Jahr 1995 bei rund 10.000 jährlich eingependelt.

Konsum-Verlockungenin der Großstadt

67.000 Euro Schulden haben Personen in Privatinsolvenz durchschnittlich, bei ehemaligen Selbstständigen sind es über 100.000 Euro. Bei "echten" Privaten machen Schulden bei der Bank den Großteil aus, so Grohs. Dazu kommen häufig ausstehende Zahlungen für Strom, Gas, Miete sowie Unterhaltszahlungen und Verwaltungsstrafen und Rückstände bei Mobilfunkbetreibern.

Der "typische" Schuldner ist männlich, zwischen 35 und 45 Jahre alt, lebt in der Stadt und verfügt nur über eine unterdurchschnittliche (Aus-)Bildung. "Die Konsumverlockungen in der Großstadt sind größer als am Land", sagt Weinhofer. In Wien waren fast 28 von 10.000 Erwachsenen in Privatkonkurs, 40 Prozent aller Insolvenzverfahren finden in der Bundeshauptstadt statt.

Ein Streitpunkt bleibt indes die in Österreich festgelegte Mindestquote und Dauer im Abschöpfungsverfahren: Schuldner werden von ihren Schulden befreit, wenn sie sieben Jahre am Existenzminimum gelebt und den Gläubigern mindestens zehn Prozent ihrer Forderungen zurückgezahlt haben. Für Schuldner mit sehr hoher Verschuldung oder sehr geringem Einkommen sei die Mindestquote im Privatkonkurs kaum erreichbar, kritisieren die Schuldenberatungen. "Ich sehe nicht ein, warum man auf die 10-Prozent-Mindestquote besteht. Ziel ist es doch, das pfändbare Einkommen abzuliefern", so Grohs. Zudem verweisen die Schuldnerberater darauf, dass die Verfahrensdauer mit sieben Jahren in Österreich vergleichsweise lang sei. Außerdem sollten die Billigkeitsgründe erweitert werden, damit Personen, die ihre Schulden offensichtlich nicht zurückzahlen können - etwa wegen Krankheit oder Pension - auch ohne Erfüllung der Quote von ihrer Restschuld befreit werden können.

Bei Gläubigerschützern beißen die Schuldnerberater mit ihren Forderungen auf Granit. "Wir haben ein funktionierendes Rechtssystem, an der Mindestquote sollte man nichts ändern", sagt Weinhofer. Vorstellen kann er sich allerdings eine Variante, wie sie seit Juli 2014 in Deutschland gilt: Wer mindestens 35 Prozent der Gläubigerforderungen sowie die Kosten für Gericht und Insolvenzverwalter bezahlt, ist nach drei statt sechs Jahren schuldenfrei.

Für viele Schuldner ist diese Quote jedoch unerreichbar: Bei Zahlungsplänen, die 70 Prozent der Privatinsolvenzverfahren ausmachen, wird durchschnittlich ein Viertel der Forderungen zurückgezahlt. In Abschöpfungsverfahren werde die Mindestquote in den meisten Fällen erreicht, meint Weinhofer. Grohs nennt 15 Prozent als durchschnittliche Quote bei Privatinsolvenzen.

Forderung nachFinanzbildung an Schulen

Damit künftig weniger Österreicher Schulden anhäufen, wünscht sich Weinhofer ein bundesweit verpflichtendes Fach Finanzbildung an Schulen. Aus Sicht von Grohs wäre eine österreichweite Strategie notwendig, um Basiswissen rund um Wirtschafts- und Finanzbildung im Unterricht zu vermitteln. Die Schuldnerberatungen bieten für Schüler in einigen Bundesländern einen Finanzführerschein. Seit 2012 wird auch Budgetberatung für Menschen, die (noch) keine Schulden haben, angeboten. Wer lieber anonym bleiben möchte, kann den Online-Budgetrechner auf www.budgetberatung.at nutzen.