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Entstaatlichung im Sinne des Maastricht-Vertrages

Von Tanja Koller*

Wirtschaft

Um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, lassen sich die EU-Staaten allerhand einfallen. Eine sehr beliebte Methode, die Staatsbilanzen zu schönen, ist das Ausgliedern von staatlichen Einrichtungen und Unternehmen. Ein taugliche Strategie?


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Nach der letzten budgetären Notifikation an Eurostat (Mitteilung von öffentlichem Defizit/Überschuss und öffentlichem Schuldenstand in Zusammenhang mit den Maastrichter Konvergenzkriterien) belief sich der öffentliche Schuldenstand Österreichs Ende 2002 auf 67,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. (Die offizielle Statistik für 2003 wird Ende Februar veröffentlicht - laut Schätzungen des Finanzministeriums dürfte sich der Schuldenstand in der selben Größenordnung bewegen.) Damit liegt Österreich doch deutlich über der Maastricht-Grenze von 60 Prozent. Dies obwohl deutliche Anstrengungen unternommen wurden, den Staatsschuldenberg abzubauen. Der buchhalterischen Kreativität waren keine Schranken gesetzt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen immer wieder Ausgliederungen, weil ausgegliederte Rechtsträger nach staatlichem Budgetrecht als außerbudgetäre Einheiten gelten.

Unbeachtet blieb, dass für das Maastricht-Defizit das EG-Recht - konkret das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (kurz ESVG 95) - relevant ist und nationale Definitionen unerheblich sind. Schulden außerbudgetärer Einheiten können für Maastricht-Belange nicht automatisch aus dem Staatsbereich ausgegliedert werden. Es sind hier vielmehr die im ESVG 95 festgelegten Verbuchungsregeln anzuwenden:

- Bei den Einheiten muss es sich um institutionelle Einheiten handeln. Diese zeichnen sich durch "Entscheidungsfreiheit in der Ausübung ihrer Hauptfunktion" und durch eine "vollständige Rechnungsführung" aus. Das Nichtvorliegen dieser Merkmale hat zur Konsequenz, dass die betreffenden Institutionen in die Einheiten einzubeziehen sind, von denen sie beherrscht werden bzw. in deren Rechnung ihre Teilbuchführung enthalten ist. Grundsätzlich liegt eine eigene institutionelle Einheit trotz Beherrschung durch die öffentliche Hand auch dann vor, wenn kein Einfluss auf die laufenden Geschäfte genommen wird. Damit genügt für die geforderte Entscheidungsfreiheit eine relative wirtschaftliche Selbstständigkeit. Ganz in diesem Sinne hat Eurostat in einer Entscheidung vom 31.1.2002 der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) die Eigenschaft einer eigenen institutionellen Einheit zuerkannt, obwohl deren Anteile zu 100 Prozent dem Bund gehören.

- Nur staatlich kontrollierte Einheiten werden als öffentliche Produzenten dem Sektor Staat zugerechnet. Unter Kontrolle ist hierbei die Fähigkeit zu verstehen, die allgemeine Unternehmenspolitik oder das allgemeine Programm einer institutionellen Einheit zu bestimmen, erforderlichenfalls durch Einsetzung geeigneter Direktoren oder Manager.

- Liegt ein öffentlicher Produzent vor, muss beurteilt werden, ob es sich um einen Markt- oder Nichtmarktproduzenten handelt. Für diese Unterscheidung ist das 50-Prozent-Kriterium maßgeblich. Werden weniger als 50 Prozent der Produktionskosten durch Umsätze gedeckt, handelt es sich um einen Nichtmarktproduzenten, der - soweit diese Einheit vom Staat kontrolliert und größtenteils finanziert wird - in den Sektor Staat einzubeziehen ist.

In Anbetracht dieser Kriterien wird augenscheinlich, dass die Auslagerung von Schulden aus dem staatlichen Bereich v.a. am 50-Prozent-Kriterium scheitert. Nicht jeder geldwerte Zufluss kann als Umsatz qualifiziert werden. Ein Umsatz im Sinne des ESVG 95 erfordert einen wirtschaftlich signifikanten Preis, somit einen Preis, der die von den Produzenten angebotenen und von den Käufern nachgefragten Mengen signifikant beeinflusst.

Weiters muss hinreichend konkretisiert sein, für welche Leistungen dieser Preis entrichtet wird. Ausgegliederte Rechtsträger haben oft große Schwierigkeiten Aufträge am freien Markt zu akquirieren und leisten im wesentlichen weiterhin an die Trägergebietskörperschaft. Das Entgelt (das sie für eine Leistung an Bund, Land oder Gemeinde bekommen) ist eine "Zahlung des Staates", die bei Erfüllung der genannten Merkmale einen Umsatz darstellt. Allerdings steht eine pauschale Abgeltung von Leistungen mit diesen Erfordernissen nicht im Einklang. Derartige Jahrespauschalbeträge leistet der Bund z.B. an die Bundesrechenzentrum GmbH, die Bundesmuseen und die Bundestheatergesellschaften.

Nachdem diese Zuwendungen nicht als Umsätze gelten, werden diese Gesellschaften dem Sektor Staat zugerechnet. Im Zuge der Umstrukturierung der ÖBB durch das Bundesbahnstrukturgesetz 2003 wird in dieser Hinsicht Vorsorge getroffen. Es soll keine automatische Verlustabdeckung mehr erfolgen, die Höhe der Bundeszuschüsse an den Infrastrukturbereich der Bahn sollen sich aufgrund eines mehrjährigen Vertrages ergeben. Grundlage dieses Vertrages ist ein Geschäftsplan, in dem die geplanten Maßnahmen genau beschrieben werden. Damit wird eine hinreichende Konkretisierung der staatlichen Zahlungen gewährleistet.

* MMag.Dr. Tanja Koller ist Vertragsassistentin am Institut für Rechtswissenschaft der Uni Klagenfurt. Ihr Buch zum Thema "Maastricht-konform ausgliedern" ist beim Neuen Wissenschaftlichen Verlag erschienen.