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Teddy Kollek, gebürtiger Wiener, mehr als ein Vierteljahrhundert Bürgermeister einer legendären Stadt, feierte am Sonntag seinen 90. Geburtstag. Anstelle von Geschenken wünscht er sich aus diesem Anlass Geld, viel Geld, um den ärmsten Bezirken seiner Stadt, darunter vor allem arabischen, zu helfen. Es ist unmöglich, von Teddy Kollek nicht emotional berührt zu sein. Bis zum heutigen Tag sitzt er jeden Vormittag entweder in seinem Büro in der Jerusalem Fondation oder in dem im Israel Museum mit Blick über die Stadt. Er liest die internationalen und die israelischen Zeitungen, raucht eine dicke Zigarre - und plant. In Israel sagt man jemandem zum Geburtstag: "Auf hundertundzwanzig" und meint, dass einer so alt werden soll wie angeblich Moses. Teddy Kollek sagt, er möchte nur so alt werden, als es ihm möglich ist, jeden Tag ins Büro zu gehen.
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Das erinnert ein bisschen an den greisen österreichischen Kaiser Franz-Joseph, der auch der erste Diener seines Staates sein wollte. Tatsächlich gibt es ein paar Parallelen mehr bis hin zum Ende ihrer politischen Machtausübung. Am Ende waren sie enttäuscht über das Ergebnis ihrer lebenslangen Bemühungen. Aber Teddy Kollek, so sagt einer seiner früheren Vizebürgermeister, der Jerusalem Historiker Meron Benvenisti, gibt niemals auf. Und das sei, meint Benvenisti einer der Züge, die aus Kolleks österreichischem Erbe stammten.
Geboren wurde Teddy Kollek am 27. Mai 1911 in Nagyvaszony, einem kleinen Dorf in der Nähe von Budapest. Kolleks Vater, Reserveoffizier der k.u.k. Armee, war Kaufmann und nach dem ersten Weltkrieg Geschäftsführer von Rothschild'schen Unternehmen in der Monarchie. Die militärische Position seines Vaters zog die Familie des kleinen Theodor, der nach Herzl genannt worden war, nach Berlin und schließlich nach Wien. Die Familie hielt die jüdischen Traditionen ein, war aber nicht streng orthodox. Andererseits wuchs Teddy, den niemals jemand Theodor rief, in einem bewusst jüdischen Milieu auf, das nicht Assimilation suchte.
Schon früh Zionist
Er erinnert sich an Wien, sogar sehr deutlich, meint er, und erzählt von seiner Schulzeit im Hagenmueller-Gymnasium in Wien-Erdberg. Er war ein schlechter Schüler und kokettiert mit diesem Faktum wie viele später erfolgreiche Menschen. Es gab nur wenige jüdische Schüler in seiner Klasse und keinen Antisemitismus. Teddy Kollek, der im Äußeren so gar nicht der landläufigen und vielfach rassistisch gefärbten Vorstellung von einem jüdischen Buben entsprach, dafür umso mehr der von einem Wiener Kind, engagierte sich früh in der zionistischen Bewegung. Kollek unterlegte diesem Engagement in seinen Memoiren ein rationales Argument: die zionistische Jugendbewegung war organisiert wie die Pfadfinder. Die Jugendgruppen machten Ausflüge, betrieben Sport, regten die Phantasie und die Lust auf Abenteuer an. Das große zionistische Abenteuer hieß Rückkehr nach Palästina, in das Land der jüdischen Vorväter, das sie vor 2000 Jahren verlassen mussten. Aus der Zeit in der zionistischen Jugendbewegung stammt eine Episode, die eine der wichtigsten Fähigkeiten des späteren Bürgermeisters der Stadt Jerusalem erkennen lässt. Zu seiner Bar Mitzva, das ist in der jüdischen Religion so etwas wie die Firmung der katholischen Christen, fügte der 13-jährige Teddy Kollek seiner wohlaufgesetzten Ansprache an die Gemeinde einen Wunsch an: er wünschte sich ein Faltboot für seine Jugendgruppe. Trotz Befremdens über sein ungewöhnliches Verhalten, wurde ihm und seinen Freunden, die seinem Beispiel folgten, schließlich der Wunsch erfüllt. Teddy Kollek hat das Wünschen zugunsten übergeordneter Zielsetzungen zur Perfektion getrieben. Als er 1965 Bürgermeister in Jerusalem geworden war, fand er sich ungeheuerlich großen Problemen gegenüber, die nur mit enormem finanziellem Aufwand lösbar waren.
Vorbild: "Rotes Wien"
Aber Geld war in den Stadtkassen keines vorhanden. Und was vorhanden war, konnte nur mit ziemlichem bürokratischem Aufwand locker gemacht werden. Teddy Kollek sah zum Beispiel, wie die Einwanderer aus Nordafrika vor 35 Jahren in Katamon, einem alten Jerusalemer Viertel, in kleinen und überfüllten Wohnungen hausten. Rundum gab's keine Freiräume, Parks, Spielplätze. Da mag sich Kollek an das legendäre "Rote Wien" erinnert haben mit seiner Parole, Licht, Luft und Sonne auch für die Wohnungen der mittellosen Arbeiterschaft zugänglich zu machen. Das Geld für den ersten öffentlichen Garten sammelte er unter Freunden, die mit ihm gemeinsam in der Hagana, der vorstaatlichen jüdischen Untergrundarmee gekämpft hatten. Mit einem untrüglichen Sinn für Fundraising mobilisierte er Freunde von Teddy Kollek in den USA, Geld für ihn und seine Projekte zu sammeln. Daraus entwickelte sich eine der bedeutendsten Organisationen der Stadtentwicklung in Jerusalem, die Jerusalem Fondation.
Jeder Bürgermeister einer Großstadt träumt von einem solchen Instrument: ohne mühselige politische Entscheidungsprozesse wird für konkrete Projekte, die exakt geplant und kalkuliert worden sind, das Geld bei privaten Spendern aufgetrieben. Die Gegenleistung besteht in einer Metalltafel am realisierten Projekt, auf der die Spender vermerkt sind. Häufig sind es Menschen, die auf diese Weise ihren Eltern ein Denkmal setzen. Die Jerusalem Fondation entwickelt sich in 35 Jahren aus einer eineinhalb Mann großen Privatinitiative zu einem Unternehmen mit 70 Beschäftigten und einem Geschäftsvolumen von 40 Millionen Dollar pro Jahr. Über die Jerusalem Fondation wurde das Areal rund um die Altstadt von Jerusalem nach 1967 zu einem archäologischen Nationalpark gestaltet. Bis dahin wurde außerhalb der jahrtausendealten Stadtmauern Müll und Gerümpel deponiert wie im Mittelalter. Teddy Kollek ließ unmittelbar nach Eroberung der Altstadt und Ostejerusalems im Sechs-Tage-Krieg den historischen Boden säubern, legte Wege an und ließ Bäume und Büsche pflanzen, die der Stadt bis heute eine unnachahmliche Atmosphäre verleihen.
1965 Bürgermeister
Teddy Kollek wurde 1965 Bürgermeister, also zwei Jahre vor der Wiedervereinigung der seit 1948 zwischen Israel und Jordanien geteilten Stadt. Vor wenigen Jahren erwähnte er in einem Interview, dass kurz nach der Eroberung Ostjerusalems David Ben-Gurion, Israels Staatsgründer und bereits in Pension, aus dem Negev Kibbuz Sde Boker angereist sei und sich umsah in der Stadt. Man sprach über die politische Lage und die israelischen Militärs meinten, dass nach einer solchen Niederlage die Araber nun friedensbereit sein würden. Ben-Gurion widersprach und erklärte, er hielte die Araber für ein stolzes Volk und daher werde es keinen Frieden geben. Er empfahl daher auch, um die Spannungen zu verringern, schnell zu entscheiden, was von dem im Krieg eroberten Gebiet behalten werden müsse - aus strategischen oder ideologischen Gründen. Alles andere solle unmittelbar zurückgegeben werden.
Teddy Kollek sagt heute, dass er inhaltlich mit Ben-Gurion einer Meinung gewesen sei. Freilich bezog sich das nicht auf Jerusalem, das für das Judentum und die Israelis ein zentraler Ort ist. Hätte man in den anderen Gebieten Ben-Gurions Rat befolgt, sagt Teddy Kollek, hätte man schon längst eine friedliche Lösung gefunden. Meron Benvenisti, Kolleks Vize und ein Historiker, der wie kein anderer die Geschichte Jerusalems kennt und in Büchern festgehalten hat, meint heute, dass Kollek sich in dieser Beziehung geirrt habe. Teddy Kollek beschreibt seine Arbeit für Jerusalem selbst erstaunlicherweise damit, dass er zunächst die Bäume erwähnt. "Heute Morgen bin ich ins Büro gefahren und bin durch Straßen gefahren, in denen es drei und vier Jahre alte Bäume gibt. Das Pflanzen von Bäumen in dieser Stadt ist das, was mir Befriedigung gibt. Ich habe dazu beigetragen, dass diese Stadt langsam eine grüne Stadt wird. Was mich noch mehr berührt, ist die Tatsache, dass heute rund 800.000 Menschen jedes Jahr das Museum besuchen. Das Museum ist auf meinen Vorschlag hin errichtet worden und all die sogenannten Großen damals, Golda Meir und die anderen, waren dagegen und haben gesagt, ich sei dumm. Es gebe große Probleme und da sollen wir ein Museum bauen? Und heute ist das Museum fest etabliert und wird erweitert und ist internationale anerkannt. Die großen Museen der Welt stellen uns Leihgaben zur Verfügung, nun hat man uns sogar einen Rembrandt gekauft. Dass man so ein Zutrauen zu uns haben würde, habe ich mir nicht vorgestellt." Und dann erwähnt Kollek noch sein Lieblingsprojekt, wo auch nun sein Geburtstag mit einer Riesenparty gefeiert werden wird: der Tiergarten und dort im besonderen der neue Skulpturengarten "Arche Noah", für den Niki de Saint Phalle 21 Figuren geschaffen hat, die der Architekt Mario Botta arrangiert hat. Eine der Figuren - "Der Gorilla" - wurde übrigens vom Wiener Zeitungszaren Hans Dichand finanziert. Was Teddy Kollek so stolz macht, ist sein Glaube, dass seine Projekte, gemeinsame jüdisch-arabische Kindergärten, gemeinsame Schulen, die Investitionen der Jerusalem Fondation in Ostjerusalem wie die Klinik in Scheich Dscharrach, der Umstand, dass an islamischen oder jüdischen Feiertagen, Juden und Araber in den Parks und Gärten zu finden sind, ein wesentlicher Beitrag zu einer Aussöhnung zwischen den beiden Völkern sind. Benvenisti widerspricht. Und auch der Augenschein bei einem Rundgang durch Jerusalem entlang der ehemaligen Grenze bis zum Juni 1967 zeigt deutlich, dass Jerusalem noch immer zwei Städte sind. Infrastruktur und soziale Einrichtungen im Ostteil sind wesentlich dürftiger.
Ist Jerusalem also geworden, was Teddy Kollek sich erträumt hat? Der weisshaarige sympathische Mann seufzt tief: "Nein. Aber es wird es werden." Die Dinge brauchten mehr Zeit, meint er, und es fehle an Geduld. Er selbst veranschlagt das Gelingen seines Zieles auf fünf bis sechs Generationen. Schließlich lebten hier neu eingewanderte Juden aus 61 Ländern mit 25% Palästinensern zusammen. Benvenisti sagt, Kollek sehe sich als Heiler der tiefen Wunden zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung. Und tatsächlich hat Teddy Kollek das auch immer wieder versucht. Er erzählt zum Beispiel, wie die Israelis im Ostjerusalemer Stadtteil Silwan Bäume gerodet hätten für Siedlungsprojekte. Er sei zu den Arabern gegangen und habe mit ihnen gemeinsam neue Bäume gepflanzt. Und weil er der Bürgermeister von Jerusalem war, hat sich auch niemand getraut, sie wieder auszureissen.
Niederlage 1993
Die Solidarität mit den arabischen Bewohnern der Stadt Jerusalem war freilich nicht ausreichend, als Teddy Kollek bei der Bürgermeisterwahl von 1993 ein letztes Mal antrat, um den Kandidaten der rechten Likudbewegung, den heutigen Bürgermeister Ehud Olmert, aus dem Amt fernzuhalten. Die Palästinenser in Jerusalem gingen nicht zur Wahl und Olmert wurde mit Hilfe der ultrareligiösen Juden gewählt. Seither wird Jerusalem enger statt weltoffener. Die Auseinandersetzungen zwischen säkularen Bewohnern und religiösen führten zu einer deutlichen Abwanderung der Toleranten. Eine Tatsache unterstützt dennoch ein wenig Teddy Kolleks Vision von Jerusalem, das er auch in Zukunft als vereinte, aber nicht als ständig in palästinensisches Gebiet hinein vergrößerte Stadt sieht: Der Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst des vergangenen Jahres hat Jerusalem nicht im gleichen Ausmaß zur Frontstadt gemacht wie andere Teile der besetzten Gebiete. Die Kämpfe finden zwischen Gilo und Bethlehem-Beit Dschalla statt, nicht in Jerusalem selbst.
Und Teddy selbst? Er wünscht sich zum 90. Geburtstag statt netter, aber unnützer Geschenke viel Geldgeschenke, um zunächst drei Projekte zur Verbesserung der ärmsten Bezirke Jerusalems, zweier jüdischer und eines palästinensischen, auf dem Gebiet von Kindergärten und Schuleinrichtungen zu finanzieren.