Zum Hauptinhalt springen

Enttäuschte Hoffnung

Von Carsten Hoffmann

Politik

Belgrad - Der tägliche Kampf um ein besseres Leben hat im Serbien nach Slobodan Milosevic die Freude über den Sturz des Diktators abgelöst. Ein Jahr nach dem Ende des Regimes der serbischen Sozialisten macht sich zunehmend Bitterkeit breit.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Etwa 1.000 Schilling (72,7 Euro) verdient die 37 Jahre alte Belgrader Lehrerin Sonja. Wie viele Menschen, versucht sie sich Geld mit anderen Jobs dazu zu verdienen. Als einzige Tochter muss die allein erziehende Frau auch bei den Eltern mithelfen. Die frühere Stewardess ist schon lange nicht mehr über die Grenzen ihres Landes hinausgekommen. Auch im neuen Jugoslawien hat Sonja weder Geld für Reisen, noch ist es leicht, ein Visum zu ergattern.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei schätzungsweise 50 Prozent, ohne dass bisher die Privatisierung der defizitären staatlichen Großbetriebe begonnen hätte. Der Durchschnittslohn beträgt nur wenig mehr als etwa 700 Schilling, die Durchschnittsrente nur etwa 600 Schilling. Mit zehn Jahren Verspätung muss Belgrad nun die Politik der kleinen Schritte auf sich nehmen, wie sie auch die anderen Reformstaaten Südosteuropas bewältigen müssen. Nach einem hoffnungsvollen Start sorgt der Dauerstreit zwischen der nationalistisch-konservativen Gruppe um den jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und Serbiens Ministerpräsidenten Zoran Djindjic jetzt für Stagnation.

Der Erwartungsdruck nach dem Sturz von Milosevic am 5. Oktober 2000 war groß. Er wurde angefeuert von Politikern, die das international isolierte Belgrad zu einem Zentrum Südosteuropas aufbauen wollen, das bald schon andere Nachbarstaaten hinter sich lassen könne. Doch das bleibt vorerst reine Vision.