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Der als moderat geltende iranische Präsident Hassan Rohani konnte die Erwartungen der Perser bisher nicht erfüllen.
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Teheran/Wien. Die bisherige Bilanz des iranischen Präsidenten Hassan Rohani sieht ernüchternd aus: Der Wegfall eines Teils der Öl-Einnahmen trifft das ohnehin angeschlagene iranische Budget. Außerdem belastet die Talfahrt des Ölpreises, der zuletzt unter die 65-Dollar-Marke rasselte. Der Atomstreit rund um die Urananreicherung mit dem Westen ist noch immer nicht gelöst, somit sind auch die meisten der westlichen Wirtschaftssanktionen nach wie vor in Kraft.
Im Bereich der Menschenrechte letztlich hat sich seit Juni 2013 nicht wirklich etwas verändert. Im Gegenteil: Die Zahl der Hinrichtungen ist sogar gestiegen. Auch im Alltag ist von Veränderung nicht viel zu spüren. Paramilitärische Bassij-Milizen kontrollieren wie eh und je die Universitäten und überprüfen, ob die jungen Damen sich an die strengen Bekleidungsvorschriften halten. Die Polizeistationen in Teheran stehen ihren Bassij-Kollegen um nichts nach. Sie sorgen gemeinsam mit den Sittenwächtern tagtäglich "für Recht und Ordnung im Sinne der Islamischen Republik und des Revolutionsvaters Ruhollah Khomeini", wie sie es nennen.
Hardliner gegen Öffnung
Am liebsten hätten die Hardliner alles aus dem Westen verbannt oder verbrannt, den Laptop inbegriffen. Für sie ist er ein "teuflischer schwarzer Kasten, aus dem nur Gift herauskommt". Aber die westlich ausgerichtete Konsumgesellschaft muss den Gürtel derzeit ohnehin enger schnallen und sich mit schlechten Billig-Produkten aus China zufriedengeben. Die Lebenshaltungskosten im Iran sind in den vergangenen 18 Monaten so rasant angestiegen, dass viele Familien auf Fleisch verzichten müssen. "Es ist einfach nicht leistbar. Wenn wir alle Fleisch essen wollen, muss ich drei Kilo kaufen, denn ich habe vier Kinder. Wir verwenden das Fleisch samt Knochen für verschiedene Speisen", erklärt der junge Familienvater Amin K. im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Doch wenn ich drei Kilo Fleisch kaufe, dann ist mein gesamtes Tagesbudget für das Essen erschöpft", ergänzt er.
Sein Freund Bahman L. will gar nicht erst heiraten. "Welcher junge Mann in Teheran denkt denn hier noch bitte ans Heiraten? Die Hochzeit kostet so viel, dass ich mir zusätzlich zu einem Jahresgehalt noch einen Kredit für die Feier nehmen müsste", klagt er. Erst in den vergangenen 14 Tagen haben sich die Brotpreise in den Großstädten des Iran um bis zu 400 Prozent erhöht. Darüber hinaus gibt es auch kein flächendeckendes Subventionssystem mit Gutschein-Bons mehr wie unter Rohanis Vorgänger Mahmoud Ahmadinejad. Das konnte sich der Staat nicht mehr leisten.
Es wäre jedoch zu einfach, für all diese Missstände nur Rohani die Verantwortung zu geben, der während seines Wahlkampfes von der Mehrheit der überwiegend jungen iranischen Bevölkerung als "Scheich der Hoffnung" bezeichnet worden war. Der mittlerweile siebente Präsident seit der Islamischen Revolution 1979 hatte sich das alles wohl leichter vorgestellt. Der Geistliche hatte versprochen, die Wirtschaft anzukurbeln, den Atomstreit innerhalb eines Jahres zu lösen und die "Schlösser und Riegel zur Freiheit zu öffnen". Nun muss er sich eingestehen, dass seine Befugnisse und seine Macht - selbst wenn er noch so engagiert sein mag - ihre Grenzen haben. Denn im Iran ist der Präsident de facto erst die Nummer drei in der Staatshierarchie - hinter dem Geistlichen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat, und hinter dem Chef des Schlichtungsrates Ayatollah Akbar Hashemi-Rafsanjani.
Die Bilder von fliederfarbenen Transparenten, Blumen und Plakaten, die Teherans Straßen im Juni 2013 nach dem überraschenden Wahlsieg des moderaten, immer lächelnden Klerikers Rohani säumten, sind noch gut in Erinnerung. Mit Lila als Wahlkampffarbe wollte er auch im Iran einen neuen Frühling einläuten. Mit Versprechungen wie einer Öffnung nach innen und nach außen, einer Bürgerrechtscharta und der Lockerung der Zensur. Rund 16 Monate nach der Wahl fordert die Mehrheit der Bevölkerung endlich sichtbare Reformen.
Der Iran hat aufgrund der westlichen Sanktionen die schwierigsten drei Jahre seit 1979 hinter sich. "Verdammt, es kann ja nicht sein, dass er nur mit dem Ausland Frieden schließt und die Scherben Ahmadinejads aufgekehrt, aber die eigene Bevölkerung auf der Strecke bleibt", meint ein verärgerter Rohani-Fan. Es reiche eben nicht aus, dass Rohani sich durch die Welt lächele, den Atomstreit entschärft habe und der Bevölkerung kleine Brocken im Bereich der Menschenrechte zuwerfe. "Was wir wirklich brauchen, ist eine baldige Reduktion der Arbeitslosigkeit und der Inflation sowie die Eindämmung der zum Teil barbarischen Zensurmaßnahmen", hatte der 22-jährige Ariou W. aus Teheran bereits im Sommer verlangt. Ein halbes Jahr später ist Ariou noch verbitterter. Über Rohani, über das System, über die Regierung und überhaupt. Er ist wie viele seiner Altersgenossen seit Monaten arbeitslos und befürchtet, dass Rohani sich als ein "zweiter Khatami" entpuppen könnte. Khatami, der moderate Ex-Reformpräsident (1997-2005), hatte der Bevölkerung auch Freiheiten und mehr Rechte versprochen, wurde letztlich aber durch die mächtigen Hardliner und ultrakonservativen Kräfte daran gehindert, seine Vorhaben umzusetzen.
Rohani fordert von seinen Kritikern Geduld. Es dauere eben, "die mannigfaltigen Trümmer seines Vorgängers Mahmoud Ahmadinejad zu beseitigen", meint er. Leicht sei es, etwas zu zerstören, aber es wieder aufzubauen, sei mühsam und zeitintensiv, fügt er hinzu.
Arash, ein Freund von Ariou, zeigt zwar Verständnis für Rohani, erwartet aber, dass die Regierung bei Reformen aufs Gaspedal drückt. "Jetzt ist die Zeit genau richtig. Die Welt schaut den Iran nicht mehr von oben herab an, Rohani hat gute Verbindungen zu allen Obrigkeiten im Land. Es ist mir klar, dass er nicht zaubern kann und die Hardliner ihm im Genick sitzen, aber schauen Sie sich die Wirtschaftslage, die Gefängnisse und die Zensurmaßnahmen an. Es ist eins vor zwölf", gibt Arash zu bedenken. Junge Perser wie Arash und Ariou fordern eine Lockerung der Internetzensur, darunter die Freigabe der offiziell verbotenen sozialen Netzwerke Facebook, YouTube und Twitter.
Doch eines ist Arash und Ariou bewusst: Schnelle Veränderungen sind nicht zu erwarten: Bis sich die Wirtschaftslage verbessert, die Zensur gelockert wird und die Welt des Internets für die junge Bevölkerung frei zugänglich sein wird, werden noch Monate, wenn nicht sogar Jahre vergehen. Genauso wie es auch sicherlich eine Zeit lang brauchen wird, bis der Atomstreit mit dem Iran endgültig gelöst werden kann.
Doch Rohani ist nicht nur dem Druck der eigenen Bevölkerung ausgesetzt: Auch die Hardliner warten darauf, dass er einen Fehler macht oder seine Politik des Dialogs und der Öffnung keine Früchte tragen - damit sie sagen können: "Wir haben ja schon immer gewusst, dass eine Öffnung in Richtung Westen der falsche Weg ist."
Rauer innenpolitischer Wind
Innenpolitisch weht ihm also weiterhin ein rauer Wind entgegen. Die Zahl der politischen Gefangenen und restriktiven Maßnahmen hat sich seit seinem Amtsantritt vervielfacht, unter Hausarrest stehende Politiker wie die beiden Oppositionschefs Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi warten noch immer auf ihre Freilassung. Die nächste Herausforderung wartet auch schon: Bei den kommenden Parlamentswahlen werden die Konservativen alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Mehrheit im Parlament als Druckmittel zu behalten. Rohani muss sich etwas einfallen lassen. Ein Lächeln allein wird nicht reichen.