Pussy-Riot-Mitgliedern steht harter Alltag in russischen Straflagern bevor.
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Moskau. "Aufstehen um sechs, Gymnastik bis um sieben, draußen, egal zu welcher Jahreszeit, Frühstück um 7.30 Uhr, fast immer nur Brei, danach arbeiten, Uniformen nähen für die russische Armee. Um 13 Uhr gibt es Mittagessen, bis um fünf wieder Arbeit, um 18 Uhr stellt man sich auf zur Kontrolle, dann Abendessen, um zehn ist Schlafenszeit."
Das ist der Alltag in der Strafkolonie Nummer 14 in der russischen Teilrepublik Mordwinien, rund 500 Kilometer südöstlich von Moskau entfernt. Ein Alltag, den Swetlana Bachmina aus Moskau mehr als vier Jahre lang erlebte, bis sie im April 2009 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Es wird auch der Alltag sein, den die 22-jährige Nadeschda Tolokonnikowa ab jetzt erleben dürfte. Die Sängerin der Polit-Protest-Gruppe "Pussy Riot" und Mutter einer vierjährigen Tochter soll wie Bachmina in der Strafkolonie Nummer 14 ihre zweijährige Strafe verbüßen. Maria Aljochina, 24 und ebenfalls Mutter eines kleinen Kindes, mit der Tolokonnikowa für das "Punk-Gebet" gegen Präsident Wladimir Putin wegen Anstiftung zu religiösen Hass verurteilt wurde, befindet sich in der Strafkolonie Nummer 32 in Perm, mehr als 1000 Kilometer nordöstlich von Moskau. Es sind Kolonien, die teils noch im repressiven Gulag-System der Sowjetunion entstanden sind und in denen bis in die 1980er Jahre politische Gefangene eingesperrt wurden. Bis heute stützt sich der russische Strafvollzug auf das stalinistische Lagersystem.
Hierarchisch und militärisch
"Geduscht wurde nur einmal in der Woche, geschlafen in Sälen mit bis zu 40 Frauen, das Wasser haben wir oft im Winter an Heizkörpern angezapft, Tampons und Binden wurden zur Tauschware", berichtet Bachmina nach ihrer Freilassung dem russischen Magazin "The New Times". Die heute 41-Jährige hatte als Juristin für das mittlerweile zerschlagene Öl-Imperium "Jukos" von Michail Chodorkowski gearbeitet, als sie im Dezember 2004 verhaftet wurde. Man warf der damals zweifachen Mutter Veruntreuung und Steuerhinterziehung vor.
712.500 Gefangene sitzen derzeit in Russland ein, die meisten in Strafkolonien. 58.400 davon sind Frauen, für die der Föderale Dienst für Strafvollzug (FSIN) 35 Strafkolonien bereitstellt. Das System hat einen streng hierarchischen und militärischen Charakter. Es gibt vier Stufen der Unterbringung von Häftlingen. Die sogenannte "Kolonie-Siedlung", die Verurteilte für einfache Vergehen mit einem Strafmaß von unter fünf Jahren aufnimmt, ist die schwächste Form. Hier sind die Häftlinge nicht in Zellen eingesperrt und haben - in einem gewissen abgeschlossenen Rahmen - einiges an Bewegungsfreiheit. Die "Kolonie allgemeinen Regimes" ist die häufigste Form, hier sitzen ebenfalls Erstverurteilte, allerdings für "große Vergehen" ein, wie es bei FSIN heißt. Auch die Pussy-Riot-Frauen sitzen ihre Strafe in einer solchen Kolonie ab. Die Häftlinge dürfen hier bis zu 340 Euro im Monat ausgeben, vier lange Besuche von bis zu drei Tagen am Stück und sechs Kurzbesuche von bis zu drei Stunden empfangen. In der "Kolonie strengen Regimes" sitzen Wiederholungstäter ein. Hier sind Rechte und Bewegungsfreiheit der Häftlinge noch weiter eingeschränkt. Gefängnisse gibt es lediglich sieben in Russland. Sie sind den Schwerstverbrechern vorbehalten, die Häftlinge wurden lebenslänglich verurteilt und von der Gesellschaft aufgegeben.
Seit dem Beitritt Russlands zum Europarat 1996 versucht sich das Land in Strafvollzugsreformen. Es entstanden einige neue Strafanstalten mit fließendem warmen Wasser und Einzelzellen. Vor allem aber psychologische Dienste haben es schwer, sich im System durchzusetzen, das jahrzehntelang die Bestrafung und weniger den Menschen in den Vordergrund stellte.
"Entweder erhängt man sich gleich am ersten Tag, oder man kämpft für sein Recht", sagt Bachmina. Sie hat gekämpft, gar eine Tochter in Unfreiheit geboren. Auch die Pussy-Riot-Frauen setzen auf den Kampf, gegen den harten Alltag in der Strafkolonie und die Willkür der russischen Behörden.