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Eine der erfolgreicheren Erfindungen der Postmoderne ist die Sowohl-als-auch-Identität. Wobei das ja eher eine Wiederentdeckung ist: Ein mehrdimensionales Selbstverständnis war einst durchaus selbstverständlich. Heute entspricht es daher durchaus dem Trend, wenn man sich als geerdeten Leopoldstädter outet, der sich mindestens so sehr als Europäer und Weltenbürger wie als Wiener versteht. Oder etwa als kerniger europäischer Kaunertaler mit österreichischem Pass und multiethnischen Wurzeln, wie sich Alexander Van der Bellen beschreibt.
Nimmermüde Soziologen erfanden dafür die Vorstellung von Identität als einem Konzept konzentrischer Kreise, die das lokale, regionale, nationale und gegebenenfalls übernationale Bewusstsein zu einem Ganzen re-integrieren. Loyalitätskonflikte schließt das zwar nicht aus, diese spielten jedoch zu Zeiten, in denen Bürger der hiesigen Kleinstaaten begannen, ein Bewusstsein als Europäer zu entwickeln, keine oder allenfalls eine vernachlässigbare Rolle. Schließlich war man sich - grosso modo jedenfalls - einig über die wesentlichen Spielregeln, die das gemeinsame Zusammenleben regeln sollten.
Nun erleben wir eine Zäsur. Im Umgang mit dem Islam im Allgemeinen und mit der Türkei im Besonderen lassen sich die Loyalitätskonflikte nicht mehr einfach vom Tisch wischen.
Jede Gemeinschaft, und dazu zählen insbesondere auch von der Globalisierung und Migration durchgeschüttelte Staaten, hat gegenüber ihren Bürgern die Verpflichtung, ein Mindestmaß an Loyalität einzufordern. Dass Migranten bei Fußballspielen die Mannschaft ihrer neuen Heimat auspfeifen und zum Team ihrer Wurzeln halten, ist nicht die feine Art, aber doch verschmerzbar angesichts einer angestammten Bevölkerung, die sich über Jahrzehnte einen Ruf als Fußballnörgler erarbeitet hat. Anders sieht das bei den bereits bemühten Grundregeln des Zusammenlebens aus.
Dass die heimische Politik nun angesichts von fahnenschwingenden Erdogan-Fans, die lauthals ihre Opferbereitschaft herausschreien, nach Gesetzesverschärfungen ruft, ist am ehesten ein Zeichen von Ratlosigkeit. Aufgabe der Regierung ist es, die bestehenden Gesetze durchzusetzen, und nicht, ständig neue zu erfinden. Und zwar in der Sache konsequent und in der Sprache deutlich. Mitunter muss man eben deutlich machen, dass es nur ein Entweder-oder gibt.