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Deutschlands Innenministerin forciert schnellere Einbürgerungen und eckt damit auch in der eigenen Koalition an.
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Erst eineinhalb Monate sind vergangen, nachdem Kanzler Olaf Scholz (SPD) ein Machtwort sprechen musste. Zuvor stritten die deutschen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Der Koalitionsfriede war mit der Brechstange wiederhergestellt - und könnte demnächst wieder strapaziert werden. Denn die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser ventiliert Pläne für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht. Sie stößt nicht nur bei der konservativen Union aus CDU und CSU auf Ablehnung, auch Politiker des liberalen Regierungspartners sparen nicht mit Kritik.
Faeser beruft sich auf den Koalitionsvertrag, laut dem die Regierung "Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen" werde. Festgeschrieben haben SPD, Grüne und FDP auch, dass Ausländer statt acht Jahren künftig nach fünf Jahren Deutsche werden können. Bei "besonderen Integrationsleistungen" verkürzt sich die Wartezeit auf drei Jahre, zum Beispiel bei exzellenten Leistungen in Schule oder Beruf. "Leistung soll sich lohnen", schrieb Faeser in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel", in dem sie ihre Pläne skizzierte. Bei Senioren, die älter als 67 Jahre sind, soll in diesem Zusammenhang die "Lebensleistung" der sogenannten Gastarbeitergeneration gewürdigt werden soll. Und zwar in Form einer Erleichterung: Die formellen Nachweise der Sprachkenntnisse zum Erhalt der Staatsbürgerschaft sollen gestrichen werden. Ausreichen soll künftig die "Fähigkeit zur mündlichen Verständigung".
Türken als Hauptzielgruppe
Die Arbeitskräfte wurden ab Mitte der 1950er angeworben, erster Vertragspartner des damaligen Westdeutschland war Italien. Assoziiert wird der Begriff heute im Wesentlichen mit Personen aus der Türkei, die ab den 1960ern eingewandert sind. 1,5 Millionen Türken, Nachkommen mitgezählt, leben heute ohne deutschen Pass in der Bundesrepublik. "Ihre Identität hat mehr als eine einzige Zugehörigkeit. Und ihre persönliche Geschichte ist oft eng mit der bisherigen Staatsangehörigkeit verknüpft", schreibt Faeser, ohne Türken explizit zu nennen.
Die Innenministerin möchte daher auch den bisherigen rechtlichen Grundsatz aufbrechen, der Doppelstaatsbürgerschaften vermeidet - auch wenn es mehrere Öffnungsschritte gegeben hat. Seit dem Jahr 2000 erhalten in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Nach dem 21. Lebensjahr müssen sich diese Personen für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Diese "Optionspflicht" wurde im Lauf der Jahre deutlich aufgeweicht. Befreit sind EU-Bürger und Schweizer, aber auch Personen, die in Deutschland aufgewachsen sind. Unter den rund 2,6 Millionen Doppelstaatsbürgern - bei knapp 82 Millionen Einwohnern - stellen Polen (359.000), Russen (313.000) und Türken (276.000) die größten Gruppen.
Faesers Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Anspruch auf Einbürgerung nicht mehr davon abhängt, ob jemand seine bisherige Staatsbürgerschaft abgibt: Personen sollen "unser Land demokratisch mitgestalten und sich auf allen Ebenen unseres Landes einbringen können", womit das Wahlrecht gemeint ist. Kanzler Scholz assistiert: "Deutschland braucht bessere Regelungen für die Einbürgerung all dieser tollen Frauen und Männer."
Abschiebungen stocken
Die Union verweist darauf, dass Deutschland bereits ein sehr modernes Einwanderungsrecht besitze und kein Handlungsbedarf bestehe. Das gilt auch für Personen mit mehreren Pässen: Eine Einbürgerung bedeute erst das "Ende einer erfolgreichen Integrationsgeschichte", sagte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Alexander Throm. Mario Czaja, CDU-Generalsekretär und in dieser Rolle der Mann fürs Grobe, richtete der Regierung aus: "Die Staatsangehörigkeit ist kein Artikel, den es bei Black Friday im Sonderangebot gibt." Für die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge ist die Aussage Czajas eine "Verrohung der Sprache." Wie in jeder politischen Debatte geht es nicht nur um Fakten, sondern um die Deutungshoheit.
Dabei macht auch die Union deutlich, dass sie keine Uralt-Diskussionen aufwärmen möchte. "Deutschland ist ein Einwanderungsland", erklärt der Geschäftsführer der konservativen Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. "Wir sind eine alternde Gesellschaft und wenn wir unsere wirtschaftliche Innovationskraft erhalten möchten, brauchen wir Zuwanderung." Erst der Nachsatz Freis zeigt die unterschiedlichen Schwerpunkte in der Debatte: Die Zuwanderung "muss in den Arbeitsmarkt stattfinden, nicht in die sozialen Transfersysteme." Die Zahl der Asylanträge liegt bei knapp 182.000 von Jänner bis Oktober und damit bei annähernd so vielen wie im gesamten Vorjahr. Vor allem tritt die Regierung bei der Abschiebung abgelehnter Asylwerber auf der Stelle. Die Ministerien hätten es nicht einmal geschafft, den dafür von der Koalition geplanten Sonderbeauftragten zu ernennen, kritisiert FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die eigene Koalition.
Kaum Dissens gibt es beim Wunsch nach mehr Facharbeitern in Deutschland. Dazu soll eine "Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche" eingeführt werden, die auf einem Punktesystem basiert, welches sich unter anderem nach Qualifikation und Berufserfahrung richtet. Deutschkurse sollen ausgebaut werden. Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles, einst SPD-Ministerin, spricht von 400.000 zusätzlichen Arbeits- und Fachkräften, die pro Jahr nötig sind aufgrund der alternden Gesellschaft. Bereits am Mittwoch soll die Bundesregierung die Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung beschließen, die Gesetzesentwürfe sollen im ersten Quartal 2023 folgen. Nancy Faesers Vorschläge zum Einwanderungsrecht sind hingegen noch nicht einmal mit anderen Ministerien akkordiert.