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Entwicklung der Arten im Zeitraffer

Von Roland Knauer

Wissen
Buntbarsche, Beispiel für rasche Evolution. Foto: Ad Konings

Forscher schauen der Evolution quasi über die Schulter. | Buntbarsche als Musterbeispiel. | Berlin. Als Charles Darwin vor 150 Jahren seine Evolutionstheorie vorstellte, galten Hunderttausende oder Millionen von Jahren noch als Maßstab beim Entstehen von Arten. Moderne Evolutionsforscher wie Axel Meyer von der Universität Konstanz dagegen kennen Fälle, in denen in nur hundert Jahren eine Art entsteht, und können der Evolution daher sozusagen beinahe über die Schulter schauen.


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Meyer hat dies anhand von Buntbarschen untersucht. Er gab ihnen unterschiedliches Futter. Die Fische änderten nicht nur ihr Verhalten, sondern passten auch die Form von Zähnen und Kiefern an die jeweilige Nahrung an. Das ist ungewöhnlich, legen doch die Erbeigenschaften normalerweise den Körperbau ziemlich unwiderruflich fest.

Evolutionsbiologen unterscheiden verschiedene Arten daher gern mit Hilfe jeweils typischer Merkmale im Körperbau. Wenn Buntbarsche aber im Laufe des Lebens ihren Körperbau an die Umwelt anpassen, könnte es leicht sein, dass es viel weniger als die gezählten 2500 bis 3000 Buntbarsch-Arten gibt. Ohnehin verwirrte diese extreme Artenvielfalt bei Buntbarschen die Biologen schon lange.

Jedes Jahrtausend eine neue Buntbarsch-Art

Meyer jedenfalls nahm in der Folge die DNA der Buntbarsche unter die Lupe. Das war zunächst reichlich frustrierend, fand er doch in fast hundert Buntbarsch-

Arten weniger Unterschiede zwischen dem Erbgut der Arten als eine Kollegin in der DNA verschiedener Menschen, die heute bekanntlich in nur einer Art vorkommen. Sollte also die bunte Vielfalt der Buntbarsche zu einer einzigen Art gehören?

Sein Kollege Allan Wilson hatte die zündende Idee: Unterschiede im Erbgut häufen sich ja erst im Laufe sehr langer Zeiträume an. Je größer die Unterschiede zwischen zwei Arten sind, umso länger gehen sie bereits getrennte Wege, lautet eine grobe Faustregel der Evolutionsbiologie. Daher könnte die geringe Zahl der Unterschiede auch bedeuten, dass viele Buntbarsch-Arten erst in jüngerer Zeit entstanden waren. Meyer bestätigte diese Überlegung mit Hilfe des Victoria-Sees in Afrika, des zweitgrößten Süßwassersees der Welt, der zudem mit einer halben Million Jahre auch relativ jung ist. In dieser Zeit entwickelten sich dort 500 Buntbarsch-Arten, also entstand im Schnitt in jedem Jahrtausend eine neue Art. Meyer spricht von "Evolution im Zeitraffer".

Ein anderes Beispiel sind Buntbarsche in den Vulkanregionen Nicaraguas. In einem 8000 Jahre alten Kratersee leben dort zwei Arten, die sich äußerlich sehr auffällig unterscheiden. Die eine hat goldglänzende Schuppen, die andere ist schwarz-weiß gestreift. Und die Buntbarsche, die in festen Paaren zusammenbleiben, orientieren sich fast ausschließlich an der eigenen Schuppenfarbe. Dadurch sind offenbar aus einer Art zwei entstanden.

Beeindruckend ist aber auch, wie die Fische überhaupt in die entlegenen Kraterseen kommen: Wenn sich nach dem Erlöschen eines Vulkans erstmals Niederschlag im Krater sammelt, kann es nämlich Barsche regnen. Denn Hurrikane oder andere Extremwinde können nicht nur größere Wassermengen, sondern eben auch Fische in die Luft reißen, die dann irgendwann wieder herunterkommen. 2006 ging zum Beispiel im indischen Bundesstaat Kerala ein Fischschauer nieder. Manche Buntbarsche allerdings landen auch wieder im Wasser.