Gastkommentar: Die Vernetzung der Gesellschaften und Wirtschaften aller Länder der Welt bedingt, dass die Entwicklungspolitik der reichen Staaten auch auf diese selbst Auswirkungen hat.
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Als im Jahr 2015 die drei wegweisenden internationalen Vereinbarungen zu Wachstum (Sustainable Development Goals, New York), Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development, Addis Abeba) und Klimaschutz (COP 21, Paris) getroffen wurden, war das Ziel, Nachhaltigkeit für die ganze Welt festzuschreiben. Neue Finanzierungsmodelle sollten mehr Kapitalflüsse in die weniger entwickelten Länder leiten, die
17 Nachhaltigkeitsziele wurden für alle Staaten der Erde festgeschrieben, und die Klimaschutzvereinbarungen sollten Umweltzerstörung und Klimawandel so eindämmen, dass auch nachfolgende Generationen ein "gutes Leben" führen könnten.
Trotz dieser bahnbrechenden internationalen Vereinbarungen war dies jedoch ein letztes, wenn auch wichtiges, Lebenszeichen für den gemeinsamen Willen aller Länder, die Geschicke der Welt zu steuern. Der Multilateralismus war definitiv im Abstieg begriffen: Die letzte Welthandelsrunde (Doha Round) war zum Stillstand gekommen, immer mehr regionale Handelsabkommen wurden anstelle globaler geschlossen; die Machtinteressen des Westens, der die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg dominiert hatte, verhinderten, dass die aufstrebenden und Entwicklungsländer in den gemeinsamen multilateralen Institutionen den ihnen aufgrund ihrer nunmehrigen Wirtschaftsstärke zukommenden Einfluss erhielten (in zehn Jahren Verhandlungen um die Stimmrechte im Internationalen Währungsfonds wurden weniger als vier magere Prozentpunkte umgeschichtet; die Direktoren des Internationalen Währungsfonds sind seit 1944 europäischer Herkunft, der Weltbankpräsident noch immer Amerikaner), und dass auch andere als der westliche Entwicklungspfad als legitim akzeptiert wurden (Washington Consensus).
Aufgrund dieser unnachgiebigen Haltung gründeten die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) ihre eigene Entwicklungsbank und ihren eigenen Währungsfonds. China schuf zudem mit der Asian Infrastructure Investment Bank ein eigenes Finanzierungsvehikel, um sein riesiges Seidenstraßen-Projekt zu finanzieren und damit seine Handelswege nach Asien, Afrika und Europa sicherzustellen.
Keine großen Chancenauf eine Neuordnung
Diesen Zeitpunkt wählten Irene Giner-Reichl, Botschafterin in China, und der Autor dieser Zeilen dazu, gemeinsam mit elf österreichischen Expertinnen und Experten die Chancen auf eine Neuordnung der Entwicklungspolitik weltweit und in Österreich zu untersuchen. Zu aktuellen Fragen der Entwicklungspolitik wurden Interviews mit Personen des öffentlichen Lebens, von der Nationalratspräsidentin über Leiter von Forschungsinstituten und UNO-Organisationen bis hin zu Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen im Entwicklungsbereich geführt. Die Fülle der angesprochenen Themen zeigt die Vielfalt, die effektive Entwicklungspolitik beachten sollte. Viele weitere Themen wären relevant. Alle Beiträge im Buch zeigen die gravierenden Umbrüche im Entwicklungsgeschehen der vergangenen Dekade auf.
Eine Neuordnung hat sich noch nicht gebildet und wird auch nicht so bald geschehen. Zu gravierend sind die Interessenunterschiede, die wirtschaftlichen und politischen Machtpositionen geworden. Die von manchen geäußerte Hoffnung, dass die Formation der G20 (angereichert um einige kleine Entwicklungsländer) diese Ordnungsfunktion auf breiterer Basis ausüben könnte, hat sich nicht erfüllt. Neue globale Institutionen haben derzeit keine Chance auf Verwirklichung; es wird daher bei einer Vielzahl nebeneinander existierender, oftmals miteinander kooperierender, aber auch konkurrierender Institutionen bleiben, die ihre je eigenen Vorstellungen von Entwicklungspolitik umsetzen werden.
In Einzelfällen wird es sicher zu Kooperationsvereinbarungen kommen. Es ist jedoch zu befürchten, dass diese nicht von einem globalen Verantwortungsbewusstsein getragen sein, sondern die jeweiligen Interessen der jeweiligen Leitmacht durchzusetzen versuchen werden. Dabei werden die großen Entwicklungsländer jedenfalls das Sagen haben. Die kleinen, armen laufen jedoch Gefahr, bei einer weiteren Schwächung multilateraler Institutionen auf der Strecke zu bleiben.
Reiche Länder müssen Grenzen der Nachhaltigkeit respektieren
Auch wenn die massive Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte aufgrund nationalistischer Tendenzen in vielen Ländern der Welt zum Stillstand kommen oder auch zurückgeschraubt werden sollte, hat die Vernetzung der Gesellschaften und Wirtschaften aller Länder der Welt ein solches Ausmaß angenommen, dass Entwicklungspolitik nicht länger als Quasi Appendix zur eigenen Wirtschaftspolitik betrieben werden kann, sondern auch massive Änderungen in der heimischen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung der reichen Länder benötigt.
Die Ausbeutung der menschlichen und der natürlichen Ressourcen der armen Länder durch den sehr aufwendigen Lebensstil in den reichen Ländern muss zugunsten der Nachhaltigkeit, der Überlebensfähigkeit des Planeten rasch zu einem Ende kommen. Es kann nicht länger darum gehen, dass die armen Länder den Lebensstil der reichen Länder einmal erreichen werden: Es muss auch der Lebensstil der reichen Länder die Grenzen der Nachhaltigkeit respektieren lernen, damit Umweltverschmutzung und sozial-politische Verwerfungen durch Verelendung eingedämmt werden können.
Hier wird es künftig harte Auseinandersetzungen geben. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass es nur um marginale Änderungen gehe. Jene, die vom bestehenden Wirtschaftsmodell profitieren, werden alles daran setzen, die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten, und ihre Interessen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Die bahnbrechende Vereinbarung der Nachhaltigkeitsziele zeigt die Verwobenheit aller Länder der Welt auf - und erlegt den reichen Ländern die gleichen Verpflichtungen zur Nachhaltigkeit auf wie den armen.
In einer Diskussion im Forum Finanz anlässlich der Präsentation des oben genannten Buches waren sich die drei Panel-Teilnehmer, der frühere EU-Kommissar Franz Fischler, der Universitätsprofessor Ulrich Brand und die "Südwind"-Redakteurin Irmgard Kirchner, trotz individueller Unterschiede einig: Es gibt keine Entwicklungspolitik der reichen Länder für die armen mehr, es gibt nur eine Welt-Entwicklungspolitik. Diese benötigt dringend ein Welt-Entwicklungsbewusstsein. Die Zeichen für die Nachhaltigkeit der Weltentwicklung stehen mehr denn je auf Sturm. Vernunft überzeugt nicht länger. Mühsames Bohren von Bewusstseinsbrettern durch die Bevölkerungen, durch die Zivilgesellschaft ist notwendig.
Kurt Bayer & Irene Giner-Reichl: "Entwicklungspolitik 2030.
Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit"
Manz Verlag 2017
mit Beiträgen von Kurt Bayer (Globale Governance), Gudrun Biffl (Migration), Marcus Cornaro (Entwicklungspolitik der EU), Irene Giner-Reichl (Chinas Seidenstraßen-Projekt; Internationale Energieabkommen), Barbara Grosse (Chinas Engagement in Entwicklungs-
ländern), Elisabeth Gruber (Multi-
laterale Entwicklungsbanken), Konstantin Huber (Entwicklungs-
politischen Konzeptionen), Karin Küblböck (Internationale Rohstoff-
politik), Rainer Münz (Migration), Michael Staudinger (Pariser Klima-
schutzabkommen und andere relevante Vereinbarungen), Peter Launsky-
Tieffenthal (Globale Nachhaltigkeits-
ziele), Ursula Werther-Pietsch (Konzepte menschlicher Sicherheit) und Martina Neuwirth (Internationale Steuerpolitik und Wirtschaftsentwicklung).