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Es ist schon interessant, wie in unser angeblich so vernetzten Welt zwei einander völlig entgegengesetzte Trends synchron ablaufen können: In Nahost verwandeln sich ehemals säkulare autoritäre Regime in demokratische, aber religiös intolerante Staaten, während im christlich geprägten Westen die letzten religiös konnotierten Tabus in der Gesellschaftspolitik kippen. Hier scheint das alte Ideal eines aufgeklärten Staates sehr, sehr nahe, etwa bei der Enttabuisierung von Homosexualität, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Abtreibung oder bei den neuen Möglichkeiten für die Fortpflanzungs- und Biowissenschaften.
Nur im Kampf um die sichtbaren Symbole des Christentums, sei es das allgegenwärtige Kreuz im öffentlichen Raum, sei das Läuten der Kirchenglocken, gibt es noch spürbaren Widerstand. Das dürfte jedoch vorrangig mit unserem Hang zur Nostalgie und unserem Faible für Erinnerungskultur zusammenhängen.
Allerdings ist diese Entwicklung nicht in Stein gemeißelt. Religion ist ein hochdynamischer Prozess, und die Säkularisierung, wie wir sie in der Moderne erlebt haben, führte nicht nur zu einer institutionellen Trennung von Kirche und Staat, sondern auch zur Entzauberung des Einzelnen, indem die einst vielfältigen Bindungen zwischen Mensch und Religion gelockert beziehungsweise ganz gelöst wurden.
An deren Stelle tritt nun das Prinzip der Religionsfreiheit - eine Art neuer Markt, auf dem die Nachfrage des Einzelnen nach Sinnstiftung mit neuen Angeboten zusammentrifft. So gesehen wird die säkulare Moderne zur Triebfeder einer neuen Dynamisierung des Religiösen durch eine Entfesselung des Marktes - fast schon klassischer Neoliberalismus. Das ist wahrscheinlich nicht unbedingt jenes Szenario, das sich die Kämpfer gegen die Religion erwarten.
Es ist allerdings zweifelhaft, ob auch die etablierten Kirchen von dieser Entwicklung profitieren. Ex-Monopolisten und Marktführer werden im Falle einer radikalen Liberalisierung meist Opfer hungriger neuer Anbieter, die mit Kommunikation und Inhalten den Nerv ihrer Zeit treffen.
Weihnachten wird trotzdem ein Renner bleiben. Dazu ist die Geschichte viel zu gut und die Inszenierung viel zu perfekt. Und mit der Wirtschaft verfügt das christliche Fest noch über ein mächtiges Standbein außerhalb des Kerngeschäfts.