Grüne drängen in die Regierung. | FDP muss ihren Sitz verteidigen. | Bern/Wien. In der Schweiz werden in den nächsten Monaten zwei Ministerposten neu besetzt. Das hat zu einem verbissenen Kampf jeder gegen jeden unter den Parteien geführt und gefährdet letztlich die eingesessenen ruhigen politischen Verhältnisse.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Normalerweise geht die Verteilung politischer Macht in der Schweiz klar und gesittet vor sich. Grund dafür ist das Konkordanzprinzip. Das bedeutet unter anderem, dass alle Großparteien in der Regierung vertreten sind und gemeinsam alle Entscheidungen treffen. Eine Opposition gibt es somit nicht im eigentlichen Sinne. Für die Aufteilung der sieben zu vergebenden Ministerposten unter den Parteien haben die Schweizer 1959 eine Zauberformel gefunden. Die heißt tatsächlich so und schlüsselte jahrzehntelang den Bundesrat (wie Regierung und Minister in der Schweiz heißen) wie folgt auf: Zwei Sitze für die konservative CVP, zwei Sitze für die Sozialdemokratische Partei (SP) , zwei Sitze für die Freisinnigen (FDP) und einer für die nationalkonservative SVP.
Vor gut zehn Jahren hat sich allerdings das politische Spektrum in der Schweiz zu verändern begonnen. Die SVP legte immer weiter zu, bis sie schließlich sowohl 1999, 2003 als auch 2007 die stimmenstärkste Schweizer Partei wurde. Wenig überraschend wollte sie, dass sich das auch in der Regierung widerspiegelt. Also forderte sie eine Abänderung der seit einem halben Jahrhundert unveränderten Zauberformel zu ihren Gunsten - mit Erfolg. Seit 2003 werden der SVP zwei Ministerposten zugestanden, während hingegen die schwächelnde CVP einen Sitz eingebüßt hat. Eine neue Zauberformel war gefunden und weiteren jahrzehntelangen klaren Regierungsverhältnissen sollte nichts im Wege stehen, doch die Büchse der Pandora war nun einmal geöffnet.
Das zeigt sich nun durch die außertourliche Neubesetzung des Postens von Finanzminister Hans-Rudolf Merz. Der kündigte für Oktober seinen Rücktritt an, nachdem ihm wegen seiner erfolglosen Verhandlungen zur Befreiung eines Schweizer Gefangenen in Libyen und der Aufhebung des Schweizer Bankgeheimnisses eine Welle der Kritik entgegengeschwappt war. Auf einmal erheben alle möglichen und unmöglichen Parteien Anspruch auf diesen freiwerdenden Sitz: die SVP, die FDP, die CVP und sogar die in der Zauberformel gar nicht berücksichtigten Grünen. Dies vor allem deshalb, weil sich die FDP gemessen an ihren Ergebnissen bei den Parlamentswahlen konstant verschlechtert hat.
Tatsächlich haben sich die Freisinnigen über die letzten Jahre immer weiter von ihrem Anspruch auf zwei Sitze entfernt. Standen ihnen 1999 laut Wahlergebnis noch rein rechnerisch 1,63 Sitze in der Regierung zu, so waren es 2003 lediglich 1,35 und 2007 gar nur mehr 1,25. Also wünschen sich die Grünen - denen nach den letzten Wahlen 0,76 Ministerposten zustünden - eine Umschichtung zu ihren Gunsten.
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) wiederum sieht die Gelegenheit gekommen, um sich ihren 2003 verlorenen Sitz wieder zurückzuholen und argumentiert, dass sie nach dem Zusammenschluss mit der evangelischen Volkspartei und den Grünliberalen stärker als die FDP sei.
Die SVP spitzt auf den freien Ministerposten, weil sie derzeit theoretisch nur einen Ministerposten besetzt. Der zweite wurde zum Zeitpunkt der Wahl zwar an die SVP-Politikerin Eveline Widmer-Schlumpf vergeben. Doch die wollte die SVP-Führung gar nicht auf dem Posten haben, sondern ihr Zugpferd Christoph Blocher, der wiederum den wählenden Parlamentariern nicht geheuer war. Nachdem Widmer-Schlumpf den Ministerposten akzeptierte, wurde sie kurzerhand aus der Partei ausgeschlossen.
Mancherorts denkt man daran, das Problem zu lösen, indem man die Zahl der Bundesräte auf neun erhöht. Die Sozialdemokraten haben indes eigene Probleme, weil sich mit Jahresende ihr langgedienter Bundesrat Moritz Leuenberger aus der Politik zurückziehen wird. Zu guter Letzt will die FDP natürlich nichts von den Ambitionen der anderen wissen und beharrt darauf, ihren Minister aus den eigenen Reihen nachzubesetzen. Das wird ihr aller Wahrscheinlichkeit nach auch gelingen, doch am Ende wird der Streit wohl das etablierte Schweizer "Zaubersystem" ein Stück weiter erodiert haben.