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Auf dem Spiel steht der mit 2,3 Mrd. Euro bisher teuerste Satellit der Europäischen Weltraumorganisation ESA - und dementsprechend groß ist die Nervorsität unter allen Beteiligten, unter ihnen viele Österreicher: Mit mehr als einem halben Jahr Verspätung soll ENVISAT Freitag früh vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana starten. Es ist der komplizierteste und anspruchsvollste Satellit, der je in Europa gebaut wurde. Die fliegende Umweltstation wird den Zustand der Erde, des Klimas und der Umwelt sowie den Einfluss des Menschen auf den Planeten detailliert und umfassend über einen längeren Zeitraum beobachten. ENVISAT soll u. a. helfen, die globale Erwärmung besser zu verstehen, er hat das Ozonloch im Blick, soll den El-Nino-Effekt erforschen, Umweltverschmutzer aufspüren und bei Naturkatastrophen helfen.
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Ursprünglich hätte ENVISAT bereits Ende Juli vergangenen Jahres mit einer Ariane 5-Trägerrakete starten sollen. Doch nach einer Panne beim Aussetzen des Satelliten "Artemis" am wurden alle Starts dieses Raketen-Typs verschoben. Die Techniker mussten erst klären, warum die oberste Stufe versagte und "Artemis" auf einer zu niedrigen Umlaufbahn ausgesetzt wurde. Nun soll erstmals wieder eine Ariane 5 starten - und das mit der enorm wertvollen Fracht.
ENVISAT hat in der Startfiguration eine Höhe von 10,5 m und wiegt immerhin 8.2 t. Wenn er nach erreichen seiner Umlaufbahn in ca 800 km Höhe seine Antennen und das Sonnensegel entfaltet, wird er eine Länge von 26 m und eine Breite von 10 m erlangen. Der gewaltige Koloss umkreist die ERde einmal in 100 Minuten, das heißt, 14 Mal am Tag.
Durch die Wahl einer speziellen Satellitenbahn kann innerhalb von nur drei Tagen die gesamte erdoberfläche abgetastet werden. Das Hochtechnologieunternehmen hat natürlich seinen Preis: Der Satellit, an dem mehr als 100 Firmen aus 14 Ländern beteiligt sind, kostet 2,3 Mrd. Euro. Österreich ist daran nach Angaben der Österreichischen Weltraumagentur (ASA) mit über 14 Mill. Euro beteiligt und zahlt für den Betrieb des Satelliten bis 2006 pro Jahr 545.000 Euro.
Mit ENVISAT werden die Umwelt-Beobachtungen der beiden ESA-Satelliten ERS-1 und ERS-2 fortgesetzt und um neue Aspekte erweitert. "Wir brauchen zum besseren Verständnis von Fragen etwa der Atmosphären-Chemie oder bei der Verbesserung von Wettermodellen die Kontinuität vergleichbarer Daten über lange Zeiträume, da auch die Prozesse sehr langfristig ablaufen", erklärt der Leiter des Erdbeobachtungsprogramms der Europäischen Weltraumagentur ESA, der Österreicher Reinhold Zobl. Die ENVISAT-Daten werden mit jenen seiner Vorläufer kombiniert. Daraus sollen vierdimensionale Bilder entstehen, die den Ablauf komplexer Umweltabläufe erstmals über ein Jahrzehnt hinweg sichtbar machen.
Das Aufgaben-Spektrum des Umwelt-Wächters im All ist breit: Untersucht werden u.a. der Ozonabbau und die komplizierten fotochemischen Wechselwirkungen von Treibhaus- und Spurengasen. Durch die Messung der Reflexion der Sonnenstrahlen wollen die Wissenschafter mehr über den Strahlungshaushalt der Erde erfahren. Mit Hilfe von Radarstrahlen werden unabhängig von Tageszeit und Witterung Zustand und Vegetation von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen beobachtet. So kann der Satellit beispielsweise die meistens unter einer Wolkendecke liegenden Regenwälder beobachten und innerhalb kürzester Zeit illegale Rodungen aufspüren.
Besonderes Augenmerk schenkt ENVISAT den Weltmeeren. Erstmals wird die Verteilung von Chlorophyl und Plankton in den Ozeanen analysiert, was Rückschlüsse auf die Klimaentwicklung erlaubt. Die Messung von Meeresströmungen und Wassertemperaturen (bis zu 0,3 Grad Celsius genau) soll das Geheimnis des El-Nino-Effekts erhellen.
Stark beteiligt: Austrian Aerospace
Austrian Aerospace, der größte österreichische Hersteller von Satellitenausrüstung, lieferte für die Messinstrumente an Bord des Satelliten Elektronikeinheiten, mechanische Strukturen, thermische Isolationen sowie elektrische Testgeräte und mechanische Bodenausrüstung im Gesamtwert von 17 Mill. Euro und hat an sieben der insgesamt zehn Instrumenten des Umwelt-Satelliten mitgewirkt. Austrian Aerospace entwickelte aber auch Transportcontainer für zwei der Messsysteme.
Einen besonderen Schwerpunkt setzten die österreichischen Forscher bei der Entwicklung des Mikrowellen-Radiometers an Bord von ENVISAT. Dieses Gerät misst den Gehalt an Wasserdampf und Wassertröpfchen in der Atmosphäre. Dies ist notwendig, um die Präzision von Radar-Daten zu erhöhen, welche durch Luftfeuchtigkeit beeinträchtigt werden. Für den Mikrowellen-Radiometer baute Austrian Aerospace neben mechanischen Elementen und thermischen Isolatoren auch die zentrale Elektronik-Steuereinheit.
Weitere Beiträge leistete die Firma mit der Lieferung der Instrumentenstruktur und der thermischen Isolation für das Ozon-Messgerät GOMOS (Global Ozone Monitoring by Occultation of Stars) sowie mit der Entwicklung einer Digitalelektronik zur Steuerung des Datenstroms des wichtigsten Instruments auf ENVISAT, dem ASAR (Advanced Synthetic Aperture Radar).
ENVISAT wird während seiner geplanten Lebensdauer von fünf Jahren ein Petabyte (zehn hoch 15 bytes) Daten sammeln. Das entspricht dem Festplattenvolumen von etwa einer Million Heimcomputern. Damit liefert der Satellit ein Abbild der Erde mit bisher einzigartiger Genauigkeit. Tausende Wissenschafter - darunter fünf Gruppen in Österreich - werden mit der Datenauswertung jahrelang beschäftigt sein.
Quellen: APA, Austrian Aerospace