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Epidemie hat Proteste zum Erliegen gebracht

Von Klaus Huhold

Politik

In Hongkong wurden Demokratieaktivisten verhaftet und kaum jemand hat es bemerkt. Von Algerien über Chile bis Fridays for Future - weltweit hat Corona den Aufmarsch der Massen gestoppt.


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Es drängt sich der Eindruck auf, als versuchten die Behörden in Hongkong und Chinas Kommunistische Partei die Gunst der Stunde zu nutzen. Während die ganze Welt auf die Corona-Epidemie blickt, werden in Hongkong, das im vergangenen Jahr von einer Protestwelle erschüttert wurde, Fakten geschaffen. So hat die Polizei am Wochenende mindestens 14 Demokratieaktivisten festgenommen.

Unter ihnen befinden sich prominente Persönlichkeiten, etwa der Gründer der auflagenstarken Zeitung "Apple Daily" Jimmy Lai oder der 81-jährige Anwalt Martin Lee, der sich seit Jahrzehnten für Bürgerrechte engagiert und in Hongkong auch "Vater der Demokratie" genannt wird. Ihnen wird laut lokalen Medienberichten vorgeworfen, im Vorjahr während der monatelangen Proteste illegale Versammlungen organisiert und an ihnen teilgenommen zu haben. Die Festgenommenen wurden gegen eine Kaution auf freien Fuß gesetzt und warten nun auf ihre Verhandlungen. Verurteilungen würden die Protestbewegung hart treffen, die die demokratischen Sonderrechte, die Hongkong innerhalb der Volksrepublik China genießt, unterwandert sieht.

Die Kraft der Masse kannnicht genutzt werden

Nach den Festnahmen blieb es still und leise. Standen die Demonstrationen in Hongkong im vergangenen Jahr noch im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit, sind nun im Angesicht der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus die politischen Entwicklungen in Hongkong nur noch eine Randnotiz. Zwar haben die USA und Großbritannien die Festnahmen als Verstoß gegen die Autonomierechte der Sonderverwaltungszone kritisiert - was Peking als "Einmischung in interne Angelegenheiten" zurückwies. Sonst fand das Thema aber diplomatisch und medial international kaum Aufmerksamkeit.

Die Festnahmen wurden von den Hongkonger Behörden vorgenommen - denen aber Demokratieaktivisten eine zu große Nähe zur Zentralregierung in Peking vorwerfen. Diese hat nun auch zwei Spitzenposten in der Stadt mit Hardlinern neu besetzt. Und der Chef des Verbindungsbüros, das ist der Vertreter der Zentralregierung in Hongkong, hat schon laut über ein neues Notstandsgesetz nachgedacht. Das würde wohl erneut demokratische Rechte einschränken.

Demokratieaktivisten haben zwar angekündigt, sich weiter wehren zu wollen - doch hat sie das Virus gelähmt. Ihre starke Wirkung entfalteten die Proteste in Hongkong nämlich auch deshalb, weil Millionen Menschen an ihnen teilnahmen. Derartige Massenmobilisierungen sind derzeit undenkbar. Nicht nur hat die Regierung Ansammlungen von mehr als vier Personen verboten, auch die Protestbewegung selbst hat die Aussetzung der Demonstrationen verkündet, um die Gesundheit der Bürger nicht zu gefährden.

Hongkong ist kein Einzelfall. Von Chile über Algerien bis hin zu Tschechien, um nur drei Beispiele zu nennen, war das Jahr 2019 eines des weltweiten Aufruhrs. Doch diese von Menschenmassen getragenen großen Protestbewegungen sind wegen der Corona-Epidemie vorerst zum Erliegen gekommen.

Den Regierungen gibt das die Möglichkeit durchzuatmen. Das gilt für Tschechien, wo sich die größten Demonstrationen seit der Samtenen Revolutionen 1989 gegen Premier Andrej Babis richteten. Seine Gegner werfen dem Milliardär vor, dass er seine Geschäftsinteressen nicht von der Politik trennt.

In Chile wiederum hat es einen oftmals gewalttätigen Aufstand gegeben, der sich besonders an der massiven sozialen Ungleichheit in dem südamerikanischen Land entzündet hatte. Nun hat die Regierung wegen des Virus den Katastrophenalarm ausgerufen, die nächtliche Ausgangssperre kontrolliert die Armee - und Graffitis der Protestbewegung wurden bereits übermalt.

Anderswo nutzen die Machthaber die Gelegenheit, um in ihrem Sinne hart durchzugreifen. In Algerien hatten jeden Freitag hunderttausende Menschen gegen die von Militär und Geheimdienst errichtete Fassadendemokratie protestiert - nun finden sich Aktivisten im Gefängnis oder vor Gericht wieder. Der Kontakt zu Anwälten ist wegen der Ausgangssperren massiv erschwert.

Auch die große, weltumspannende Protestbewegung des Jahres 2019 musste wegen des Virus ihre Aktivitäten einschränken: Wo Fridays for Future aufbegehrte, sind nun die Hauptplätze der Großstädte leer. Die Klimaaktivisten wollen nun vor allem das Internet nutzen. So soll diesen Freitag der weltweite Klimastreik über das Netz stattfinden - über einen Livestream kann man virtuell mitmachen und in Sozialen Medien sollen Teilnehmer Fotos posten. Zudem rufen Aktivisten dazu auf, Banner und Slogans an Wohnungsfenstern oder Balkonen anzubringen.

Auch anderswo kommen nun alternative Protestformen zum Einsatz. Unzufriedene Brasilianer klopfen bei offenem Fenster auf ihre Kochtöpfe, um ihren Unmut mit Präsident Jair Bolsonaro, der das Coronavirus verharmlost, zum Ausdruck zu bringen.

Aber auch Aufmärsche finden weltweit statt - diese richten sich gegen Ausgangssperren und werden von Politikern wie Bolsonaro oder US-Präsident Donald Trump angefeuert (siehe Artikel unten).

Die Gründe für den Unmut sind nicht verschwunden

Auch wenn viele große Proteste nun eingeschlafen sind, können sie, wenn die Epidemie abklingt, wieder mit voller Wucht erwachen. Denn die Gründe für den Unmut sind zumeist nicht beseitigt - in Chile etwa wird die Corona-Epidemie die soziale Lage wohl noch einmal verschärfen. Und auch die Aktivisten können sich während der Atempause neu sortieren. So nutzen nun Hongkonger Studenten die während der Proteste geknüpften Netzwerke, um Nachbarschaftshilfe zu leisten - und verankern sich dadurch noch stärker in den lokalen Gemeinschaften.

Gleichzeitig könnten Aktivisten mit einer aufgerüsteten Staatsmacht konfrontiert sein: Vielerorts wird nun Software zur Gesichtserkennung eingesetzt, werden Bürger nun verstärkt über ihre Handys überwacht. Diese Instrumente werden zur Eindämmung des Virus eingesetzt und auch weiterentwickelt. Sind sie einmal in der Welt, ist aber fraglich, inwieweit vor allem nicht-demokratische Staaten in Zukunft auf sie verzichten wollen.