)
Gemeinsam ein Buch zu schreiben ist für viele Autoren eine starke Option - nicht selten kommen dabei Krimis heraus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ist die Beobachtung richtig, dass es am Buchmarkt zurzeit viele Autoren gibt, die gemeinsam Romane schreiben? Berühmte Vorbilder gäbe es einige: André Breton schrieb mit Philippe Soupault, Jorge Luis Borges mit Adolfo Bioy Casares. Auch die Brüder Goncourt gehören dazu. Die meisten heutigen Co-Autoren finden sich im ständig wachsenden Krimi-Sektor. Das schwedische Ehepaar May Sjöwall und Per Wahlöö zählt zu den frühen Vertretern, zu den späteren die Amerikaner Douglas Preston und Lincoln Child. Nicht zu vergessen das geniale italienische Duo Carlo Fruttero & Franco Lucentini, deren Werke eigentlich viel mehr als nur Krimis sind.
Schauplatz-Krimis
"Ja, es scheint, als ob es viele schreibende Paare gibt", bestätigt Theresia Sebung von der Wiener Buchhandung Posch. Ihr fällt zum Beispiel das Duo Rita Monaldi und Francesco P. Sorti ein, Verfasser von populären historischen Romanen. Solche werden in der auf Lektüre abseits des Mainstreams spezialisierten kleinen Buchhandlung wenig nachgefragt, Krimis dagegen stark. "Besonders Schauplatz-Krimis boomen", so Sebung. "Wenn man sich die Verlagsprospekte anschaut, findet man in Deutschland für jede Region Serien. Oder sie spielen in Städten, in die man gern reist, wie Venedig oder Barcelona. Oder in Wien".
Und hier lebt und schreibt auch das Ehepaar Lizl Stein (51) und Georg Koytek (48) miteinander, das bereits zwei erfolgreiche Krimis im Grazer Leykam Verlag veröffentlicht hat, zuletzt im Herbst "Pagat ultimo". Stein hat Klavier und Komposition studiert und war als Gründerin der Band "Liszl" Anfang der Neunziger Jahre bekannt. Sie unterrichtet an der Musikuniversität Wien. Koytek studierte Audio-Engineering und ist freischaffender Maler. Ihre ersten Erfahrungen als Autorenduo machten die beiden mit einem Jugendbuch, das aber nicht veröffentlicht wurde.
"Es war unser Lehrstück und ein gemeinsamer Start zum nächsten Projekt", so Stein. Die Idee für einen Krimi stammte von ihrem Mann, dem sie nach den frustrierenden Ablehnungen des ersten Buches nicht gleich folgen wollte. "Der Posamentenhändler" dagegen wurde rasch angenommen. Koytek ist der Schreiber und Stein die strenge Dramaturgin. "Die Geschichte haben wir aber immer gemeinsam weitergesponnen", so Koytek.
"Ein Krimi ist im schönsten Sinn eine Konstruktion, deren Fäden klar entwickelt werden müssen, damit die Logik stimmt. Der Georg kann wunderbar Ideen sprudeln lassen, er hat viele Bilder von Szenen im Kopf. Ich bin mehr für den Aufbau und roten Faden zuständig. Er hat auch den überbordenden Humor, den es braucht", streut sie dem Ehemann Rosen. "Und sie hat den Überblick und ist genauer als ich", erwidert Koytek.
Kommt die gemeinsame Arbeit denn ohne Streitigkeiten aus? Stein: "Wir haben zwei Söhne, die könnten heute als Konfliktmanager arbeiten. Manchmal sind wir sehr großzügig, aber manchmal fliegen die Fetzen, und dann gibt es auch Kränkungen." Koytek: "Wir lernen dazu, und ich kann jetzt viel besser mit ihren Kürzungen umgehen. Wenn es komprimiert ist, wirkt es stärker."
Sichtweise als Konflikt
Gibt es eher inhaltliche oder logische Auseinandersetzungen? "Bezüglich der männlichen versus weiblichen Sichtweise gibt es Konflikte. Oder bei Sexszenen", so Koytek schmunzelnd. Die Charaktere entwerfen beide gemeinsam und legen auf Steins ausdrücklichen Wunsch Wert darauf, dass die weiblichen Figuren nicht in der Minderheit sind. "Ich selbst lese auch keine Bücher, in denen Männer dominieren."
Was macht den Reiz des Krimi-Genres für sie aus? Stein: "Es interessiert viele Menschen, denn es ist einerseits gute Unterhaltung, hat Spannung, Humor. Andererseits kann man die unterschiedlichsten Themen unterbringen, sich zum Beispiel auch mit der Sterblichkeit auseinandersetzen."
Dem hohen Rechercheaufwand messen Koytek & Stein einen hohen Stellenwert bei. Alles, was Kriminalinspektor Orsini während seiner Ermittlungen erlebt, ist realistisch. ",Der Posamentenhändler‘ wurde auch dafür gelobt, dass wir das Wiener Flair so gut eingefangen haben." Allein zu schreiben kann sich Koytek sehr gut vorstellen, Stein hingegen nicht: "Der Aufwand ist zu groß, und ich habe auch noch die Musik." Von seiner Autorenschaft würde das Paar "sehr gern" leben können. Dieser Weg ist zwar noch weit, aber immerhin wurden Koytek & Stein 2011 mit dem "Leo-Perutz-Preis der Stadt Wien für Kriminalliteratur" ausgezeichnet.
Für Klaus Kastberger hingegen, Germanist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, wäre ein gemeinsames Texten unvorstellbar. "Man kann sich kaum vorstellen, dass Thomas Bernhard oder Peter Handke zu zweit schreiben würden. Dort, wo es um eine spezifische Form und Sprachzentrierung geht, ist so ein Schreiben undenkbar. Da muss man mit sich und dem Text allein sein und mit niemandem kommunizieren." Krimis oder historische Romane indes seien stark handlungszentriert und mit klaren Strukturen versehen, die man arbeitsteilig angehen könne.
Monotoner Buchmarkt
"Es gibt immer mehr Krimiautoren", so Kastberger, "und die Schwelle, einen Krimi zu schreiben, scheint für viele geringer als eine kunstvolle Novelle. Sie denken fälschlicherweise, das wäre einfacher."
Generell gebe es zu viele Krimis: "Das Fernsehprogramm ist voll davon, jeder Verlag macht welche und es gibt unendliche Marketing-Veranstaltungen wie Kriminächte etc." Autor Wolf Haas habe eine starke Sogwirkung gehabt und viele Nachahmer auf den Plan gerufen. "Dabei hat er selbst aufgehört, Krimis zu schreiben, was ja auch symptomatisch ist."
Kastberger bedauert die "gegenwärtige Gleichförmigkeit am Buchmarkt. Alles muss sich rechnen, und man geht keine Risiken ein. Beim Krimi erwartet man die Käufer". Doch kann sich der Germanist noch andere Motivationen für Autoren-Duos vorstellen: "Es ist eine nette Möglichkeit, etwas miteinander zu tun zu haben. Im Fall von Mann/Frau-Duos hat das Schreiben vielleicht manchmal eine therapeutische Funktion, wo das Buch gar nicht im Vordergrund steht. Das könnte auch ein gemeinsamer Garten sein."
Einen solchen zu bewirtschaften, wäre für das Duo Petra Hartlieb (45) und Claus Bielefeld (65) schwierig: Bielefeld lebt in Berlin und Hartlieb in Wien, wo sie eine Buchhandlung führt. Auch dort gehen Krimis gut, und während eines Mittagessens auf der Frankfurter Buchmesse mit ihrem langjährigen Freund Claus Bielefeld, selbst versierter Literaturkritiker, entstand die Idee, sich ebenfalls gemeinsam im Krimigenre zu erproben. Beide kennen zudem die deutschsprachige Literatur- und Verlagsszene gut.
"Das hat uns aber letztlich nicht geholfen", so Hartlieb. Zu schreiben begonnen hat das Duo "aus Spaß und noch nicht sonderlich ernst. Ausgangspunkt war, dass unsere Fälle von zwei Ermittlern aus Wien und Berlin gelöst werden. Ich habe Claus aufgefordert, ein erstes Kapitel zu schreiben und mir zu schicken." Der Prozess des Hin- und Herschreibens erstreckte sich über zwei Jahre, dann beschickte man die österreichischen Verlage mit dem Manuskript. Es wurde auch Interesse signalisiert. "Aber es kam irgendwie nicht in die Gänge", sagt Hartlieb. Also versuchten sie es bei Diogenes. Es folgte der Anruf aus Zürich, und Hartlieb vermutete zunächst "eine versteckte Kamera".
Nach dem Erfolg des Erstlings "Auf der Strecke" wurde die gemeinsame Arbeit effizienter. Man traf sich regelmäßig zur Überarbeitung und hatte nun das professionelle Lektorat des Verlags zur Seite. Hartlieb: "Es war ein toller Einstieg, denn die Auflagen sind gleich relativ hoch." Auch der aktuelle Nachfolger, "Bis zur Neige", verkauft sich gut, was Hartlieb sowohl als Autorin wie als Buchhändlerin freut.
Ganz konfliktfrei geht es auch hier nicht ab. Bei den ersten Büchern habe es aber kein gröberes Problem gegeben, so Hartlieb. "Wir streiten uns immer zusammen, denn wir sehen uns beide als Gebrauchsschreiber und sind relativ pragmatisch und uneitel." Die Arbeitsaufteilung ist klar: Hartlieb treibt die Wiener Handlung aus der Sicht von Frau Inspektor Habel voran und Bielefeld jene von Kommissar Bernhardt in Berlin.
Geplant ist eine Reihe von vier gemeinsamen Büchern. Sollte es aufgrund großen Erfolges weitergehen, gäbe es reichlich Ideen. Andernfalls "war es eine tolle Erfahrung, und wir haben immerhin bewiesen, dass wir es bis zu Diogenes schaffen konnten".
Ähnlichkeiten in Konstellation und Arbeitsweise finden sich beim Autorenduo Johannes Angerer (45) und Miriam Koch (38). Auch diese beiden kennen einander seit vielen Jahren, und aus beruflicher Zusammenarbeit entstand Freundschaft. Koch ist Wirtschaftsredakteurin und Angerer leitet eine universitäre Kommunikationsabteilung. "Wir wollten zusammen einen Roman schreiben und haben auch viel über ein Konzept geredet", sagt Angerer. "In meiner Erinnerung war es so, dass Miriam mir dann quasi aus dem Nichts eine SMS geschickt hat mit der Frage, wie denn eigentlich der erste Satz in unserem Roman lauten würde." Er habe ihr einen geschickt, und so beginnt nun das Buch "Gehöre ich halt nicht dazu" (Edition Paashaas).
In Kochs Erinnerung verlief es etwas anders: "Der Johannes hat einen ersten Satz per SMS geschickt und ich antwortete, das klingt wie ein Anfang." Jedenfalls startete das gemeinsame Schreiben via SMS und wurde per Email fortgesetzt. Zeitweise wuchs das Textvolumen rasch, dann wieder war monatelang Sendepause.
Homogene Version
Gab es Regeln? "Nein", so Angerer. "Es war spannend, denn wir waren zwar befreundet, aber so gut kannten wir einander auch wieder nicht, und Schreiben ist ein sehr intimer Akt." Lange bestand das unausgesprochene Agreement, stehen zu lassen, was der Andere geschrieben hat. "Wenn man nicht mit der Entwicklung einverstanden war, schrieb man zum Beispiel so weiter, als ob die letzte Sequenz nur ein dummer Traum gewesen wäre", sagt Koch. "Allenfalls gab es logische Korrekturen, aber keine geschmäcklerischen."
Fest stand zunächst die Ich-Perspektive einer 36-jährigen Person, die ein Cabrio fährt und ihrem Leben in sieben Tagen ein Ende setzen will. Ob Mann oder Frau, war offen. Dass es nur ein Mann sein könne, war für Koch aber eindeutig. Als auch die privaten Testleser von einer männlichen Identität überzeugt waren, hatten die Autoren keine Einwände mehr.
Es folgte die Phase der Nachbearbeitung. "Zuerst haben wir den Stil verändert und die Sprache des Protagonisten roher gemacht, nachdem manche meinten, er drücke sich zu gewählt aus", erzählt Angerer. Der Verlagslektorin waren die Änderungen aber zu heftig, und so ruderten die beiden zurück. In der Endfassung wirkt der Text homogen. Worin unterscheiden sich die Autoren aus eigener Sicht? Koch: "Ich schreibe mehr Dialoge, Johannes mehr Innensichten."
Heute können beide nicht mehr sagen, welcher Satz aus wessen Feder stammt. Mit dem eher offenen Ausgang der Handlung sind sie zufrieden, obwohl jeder für sich es anders geschrieben hätte. Eine akademische Frage für Angerer, denn "es gibt nicht meine Version. Allein hätte ich das Buch nicht geschrieben". Ein jeweils eigenes Buch kann sich jeder von ihnen vorstellen, vorerst aber ist das nächste Gemeinschaftsprojekt in Arbeit. Es wird diesmal - ein Krimi.
Keine Kriminalgeschichte haben Michaela Wolf (50) und Durmus Dogan (56) zusammen geschrieben, und haben das auch nicht vor. Wolf ist Theaterwissenschafterin und "Veränderungscoach"; die gebürtige Bayerin lebt seit vielen Jahren in Wien. Dogan kam aus Ankara zum Studium an die Universität für Bodenkultur nach Wien und wurde dann doch Künstler. Die beiden trafen einander am Naschmarkt, wo Dogans Familie Stände und Lokale betreibt. Es folgten zahlreiche gemeinsame Theaterprojekte, eine Tochter und schließlich die Ehe.
Schreiben ist für Wolf Lebenselixier "seit ich zwölf bin. Meine Magister- und Doktorarbeit habe ich gemacht, um schreiben zu können, nicht für die akademischen Würden". Dogan wiederum hat einen erstaunlichen Erfahrungshintergrund, als Ostanatolier, der in eine archaische Welt auf dreitausend Metern Höhe geboren wurde und zum Kosmopoliten heranwuchs. Das wollte er in verdichteter Form zu Papier bringen. Nicht nur das: "Ich wollte das absurdeste Buch machen." Wolf dazu: "So absurd, dass es keiner verstanden hätte." Die Aufgabenverteilung sah zunächst vor, dass Dogan in seinem eigenwilligen Deutsch eine Rohfassung erstellte, die Wolf, mit feinem Sprachsinn ausgestattet, bearbeiten sollte.
"Er die Fülle, ich die Hülle, definierte Durmus unsere Grundkonstellation", erzählt Wolf. Die Auseinandersetzungen fanden auf mehreren Ebenen statt. "Mann - Frau - Kulturkampf!", so Dogan. Dessen sprachliche Entwürfe waren sogar für Wolf, die sein spezielles Idiom seit achtzehn Jahren kennt, eine Herausforderung: "Schwer entschlüsselbar, und dazu kommt, dass er mehr räumlich orientiert ist und ich seelisch. Mir ist schnurzegal, in welchem Winkel die Sonne auf einen Platz gerade scheint. Mich interessiert, was der Mensch dort auf dem Platz denkt."
Erzählverständnis
In der Zwischenzeit hat sie gelernt, diese Vorliebe zu verstehen: "Es ist für sein Erzählverständnis kein Zufall, dass das, was gerade passiert, eben nur so passieren kann". Echte Zusammenarbeit habe es dann beim Entwerfen der Figuren gegeben, die irgendwie miteinander verwoben in Wien leben. Allmählich entstand ein wirkliches Gemeinschaftswerk, in das beide ihre Stärken einbrachten. In "Schmutz der Zeit", erschienen als BOD (Book on Demand), geht es um Asylanten und deren komplizierte Familienstrukturen, konstruierte Ehen und Dreiecksbeziehungen, Kopftücher und Parallelwelten mitten in Wien.
Der mühevolle Weg der beiden hat sich gelohnt. Wolf: "Ich denke schon, dass wir eine gemeinsame Sprache gefunden haben, mit der wir beide gut leben können. Doch das hat gedauert!" Das nächste Buch ist fast fertig, es wurde von Wolf allein geschrieben. "Ein Frauenbuch", meint Dogan. "Unsinn", sagt Wolf. Produzieren werden sie bestimmt wieder gemeinsam - vielleicht nicht gerade ein Buch.
"Produktionspaare gibt es in der Literaturgeschichte viele", so Germanist Kastberger: Franz Kafka und dessen Verlobte Felice Bauer, oder die Österreicherin Marianne Fritz, deren Lebensgefährte Otto Dünser zwar nicht geschrieben hat, "aber ihr den Rücken frei gehalten und Rechercheaufträge erledigt hat. Er hat sich als Teil eines großartigen Ganzen begriffen". Gut in Erinnerung ist Kastberger auch eine frühe Folge der TV-Serie "Columbo": "Murder by the book" (Drehbuch Steven Spielberg). Da will die kreativere Hälfte eines Bestseller-Autorenduos eigene Wege gehen. Der verlassene Partner nimmt das nicht hin und ersinnt den perfekten Mord des Kompagnons mittels eines fiktiven Drehbuches. Natürlich überführt ihn der kultige Ermittler. Aber das hat mit den Wiener Autorenduos gar nichts zu tun.
Barbara Freitag, geboren 1961, war u.a. bei der Austria Presse Agentur (APA), Pressereferentin der Ludwig Boltzmann Gesellschaft; lebt als freie Kulturjournalistin in Wien.
Koytek & Stein: Pagat ultimo. Leykam Verlag, 2012.Bielefeld & Hartlieb: Bis zur Neige. Ein Fall für Berlin und Wien. Diogenes, Zürich 2012.Johannes Angerer, Miriam Koch: Gehöre ich halt nicht dazu. Edition Paashaas, 2011.Dogan & Wolf: Schmutz der Zeit, BOD 2010.