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In der Politik hat das bekannte Liebesorakel keinen Platz und Funktionen werden nicht nach Liebe vergeben. Gesetzestexte sind keine Gänseblümchen. Gehen oder Nichtgehen ist keine Frage des Zufalls.
Als ehemaliger RH-Präsident zeigte Dr. Moser seine Fähigkeit, Missstände lösungsorientiert aufzuarbeiten. Österreich war nach seinem Ausscheiden noch immer Österreich. Das mag für Pessimisten kein besonderes Lob sein. Für Realisten allerdings schon.
Als Justizminister sah er sich offensichtlich mit einer Staatsräson 2.0 konfrontiert. Auch Personen, die für ihre Elogen über die heimische Justiz bekannt sind, erkennen gewisse Schwachstellen. Immer wieder - und immer häufiger - wird zum Beispiel von einer "Handvoll" Richter gesprochen, die "ihr Handwerk nicht beherrschen".
Aber kann dieser Handvoll das Recht, zu richten, so einfach abgesprochen werden? Die Unabhängigkeit der Justiz ist eine heilige Kuh. Niemand ist so richtig von ihrer Leistung überzeugt, aber alle beten sie an. Verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Rechtsprechung! Es dauerte lange, bis sie Gesetz wurde. Und es wird noch länger dauern, bis sie Realität wird. Denn verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Rechtsprechung wirkt ihrem Gedanken nach nicht nur für, sondern auch gegen Richter. Richter, "die ihre Akte nehmen und irgendwas machen", sprechen kein allgemein gültiges Recht, die finden die Wahrheit nur innerhalb der Grenzen ihrer persönlichen Erfahrung und Vorstellungswelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH genügt es beispielsweise, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt ODER zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt. Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht, und was der Richter nicht kennt, das spricht er nicht. Wenn ein Erstrichter eine Möglichkeit als wahrscheinlicher als alle andere erkoren und diese entsprechend protokolliert hat, dann wurde sie Wirklichkeit; ganz egal wie sehr sie dieser auch widerspricht.
Eines ist sicher: Mehr Geld ist keine Lösung. Mehr Geld ist nur ein Weg zur Lösung.
Das Justizressort ist kein Wohlfühlministerium für eine Ministerin, die mehr als erwartet, oder für einen Minister, der weniger als erwartet sagt und macht. Legislative und Exekutive sitzen vereint auf der Regierungsbank. Vorgaben, die nicht aus Brüssel kommen, diktiert der Ministerrat. Die Legislative debattiert - aber beschließt letztendlich. Eine eigenständige Judikative garantiert, dass unsere Demokratie nicht auf einem Bein steht. Und in Zeiten eines gesellschaftlichen Wandels verhindert die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Rechtsprechung ein Abgleiten ins Chaos. Es sind böse - aber auch ernste - Witze, in denen Anwälte fragen: "Ihr Fall ist ziemlich vielversprechend. Wie viel Gerechtigkeit können Sie sich leisten?"
Eine Möglichkeit scheint gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich zu haben und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit auszuschließen oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen zu lassen: Einen anderen als Dr. Moser können wir uns nicht leisten. Viele meinen sogar, ein zusätzlicher Staatssekretär würde auch nicht schaden.
Und so nebenbei, sehr geehrte Richterinnen und Staatsanwälte: 12 Pferde können vielleicht nicht 36 Staatsanwälte ersetzen; aber 36 Staatsanwälte kosten auch nicht Euro 900.000,--. Dies ist eine der Möglichkeiten, der sie gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit zuerkennen, obwohl diese Möglichkeiten absolut unwahrscheinlich und unhaltbar ist: 900.000 : 36 = 25.000.