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Barack Obamas größter Feind ist jetzt der monumentale Erwartungsdruck, der sich im ganzen Land aufgebaut hat. Wunder wird auch Obama nicht wirken können.
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Täuschte man sich, als man bei der Einreise in die USA vor dem Wahltag besonders freundliche Sicherheitsbeamte erlebte - als wollten sie sagen: Ihr Weißen braucht euch nicht zu fürchten, wenn .. .
Wenn Obama gewinnt. Er hat gewonnen, und unbeschreibliche Jubel-, Tanz- und Umarmungsszenen in den nächtlichen Straßen nach Vorliegen des Wahlergebnisses ließen auch ausländische Besucher nicht übersehen, dass in den USA Geschichte geschrieben worden ist. Der sogenannte Bradley-Effekt, wonach weißen Sympathisanten in der Wahlzelle die Hand abzufallen droht, wenn sie das Kreuzerl für einen Schwarzen schreiben wollen, ist tot. 232 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, die allen Menschen gleiche Rechte und Würde zusprach, und 46 Jahre nach dem Bürgerrechtsgesetz hat die Mehrheit der Amerikaner einen farbigen Präsidenten gewählt, und das aus ganz anderen Gründen, als es zu Beginn des Wahlkampfes ausgesehen hatte.
Den Ausschlag gab seit dem Aufbrechen der Finanzweltkrise eindeutig die Wirtschaft, die Irak-Krieg, Umweltpolitik und Krankenversicherung eindeutig verdrängte. Auch Ältere wandten sich nun von der Bush-Politik ab, auch Latinos, die lange Vorbehalte gegen Obama gehegt hatten. Die Menschen erwarteten sich von den Bewerbern nicht gleich konkrete Rezepte, sondern kühlen Kopf, besonnenes Regieren. Wie US-Wahlforscher John Zogby in der Wahlnacht vor versammelter Weltpresse in Washington erläuterte, hatten vier Motive die Wähler geführt: Sie wollten einen Problemlöser, einen, der die Klüfte in der Gesellschaft heilt, einen professionellen politischen und militärischen Führer und einen anständigen Menschen.
Dafür waren beide Kandidaten ziemlich gut gewählt, aber der eine erwies sich doch als der stärkere. Alle diese Eigenschaften jedoch haben nichts mit Parteiideologie zu tun, also war es kein "Linksruck" - und ein klarer Hinweis für Politiker auch in anderen Ländern.
Hillary Clinton hätte diese Wahl wohl nicht gewonnen, weil sie zu stark mit dem Washingtoner Establishment verbunden wurde und nicht so viele Nichtwähler mobilisiert hätte wie Obama, in dessen Lager Clintons weibliche Anhänger ohne Zögern übergingen.
Mit entscheidend war für Obama auch, dass er einen perfekten, praktisch fehlerfreien Wahlkampf führte, nicht zuletzt im Internet, wo junge Wähler daheim sind, und es verstand, sein Schlüsselwort "Change" nicht nur mit tagespolitischen, sondern auch mit kulturgeschichtlichen Inhalten zu füllen: Der Sohn eines muslimischen Afrikaners aus Kenia und einer protestantischen weißen Mutter aus Kansas, der einige Jahre in Indonesien zur Schule ging und Verwandte in drei Kontinenten hat, verkörpert wie kein Zweiter die All-inclusive-Lösung des neuen, des jungen, des anderen Amerika: selbstwusst, aber mit weniger Überlegenheitsallüren, kampfbereit aber nicht kriegslüstern, mitfühlend, solidarisch, tolerant und weltbürgerlich. Dieser Stimmungsumschwung ist ungleich wichtiger als alle Gesetzesvorlagen, die nun kommen mögen.
Obamas größter Feind ist jetzt der monumentale Erwartungsdruck, der sich im ganzen Land aufgebaut hat. Schon hörte man sagen: "Dass er auf dem Wasser wandeln kann, wissen wir. Aber wo bleiben die Brote und die Fische?"
Wunder wird auch er nicht wirken können, denn kein anderes Wahlversprechen ist so leicht und billig einlösbar wie jenes, das er seinen zwei kleinen Tochtern gegeben hat: einen kleinen Hund.