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Wieder Lockdown. Hoffnung, dass sich die Republik über die Gründe Rechenschaft ablegt, sollte man nicht haben.
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Wut, Erschrecken, Selbstzweifel, Resignation, Hilflosigkeit: Es ist eine seltsame Gefühlsmischung, die Österreich fest im Griff hält, eben die Bandbreite der Emotionen, wenn doch eintritt, was wochenlang alle Verantwortungsträger wortreich ausgeschlossen haben. Wenn sogar die Ankündigung der Verschärfungen zu einem kommunikativen Totalausfall gerät zwischen dem zuständigen Gesundheitsminister, dem gesamtverantwortlichen Kanzler und den Landeschefs von Oberösterreich und Salzburg.
Der nunmehrige Lockdown um "fünf nach zwölf", der ab Montag für ganz Österreich gelten könnte, wird nicht auf die Ungeimpften beschränkt bleiben. Schon jetzt muss die Nachgastronomie in Oberösterreich für drei Wochen schließen. Das und anderes wird Schule machen. Österreich ist erneut Vorreiter - aber anders, als uns die Regierenden glauben machen. Wann hat Politik aufgehört, ein wirklichkeitsgetreues Bild der Lage zu vermitteln, statt in falscher Sicherheit zu wiegen?
Gewiss, zum Gesamtbild gehört, dass Österreich mit seiner Misere nicht alleine ist. Da ist zum einen ganz Ost- und Südosteuropa, wo das Virus ungehindert wütet, allerdings kann das nicht die Messlatte sein. Zum Glück für die heimische Selbstentlastung gibt es das nicht minder Ego-starke Bayern (sowie Sachsen und Thüringen), wo die Infektionslage ähnlich dramatisch ist wie jenseits von Inn und Salzach.
Grundlage der "Geschäftsbeziehung" zwischen dem österreichischen Staat und seinen Bewohnern ist die Bereitschaft, überdurchschnittlich hohe Abgaben und Steuern zu berappen im Gegenzug für ein überdurchschnittlich gutes Leistungsangebot. Dieser Vertrag ist in wesentlichen Bereichen intakt, in manchen gefährdet. Gerade in der Pandemie wurden gravierende Mängel und Überforderungen in der personellen und institutionellen Infrastruktur der Republik offenbar.
Zu den Zumutungen zählt dabei die Landkarte der mentalen Verfasstheit vieler Menschen, deren weißen Flächen wir uns erst jetzt bewusst werden. So zeigte sich kürzlich Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, ein gebürtiger Deutscher, überrascht vom hierzulande vorherrschenden "stabilen Muster des Skeptizismus", der den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auch nur als eine Meinung unter vielen behandelt. Und was geschieht, wenn diese mentale Prädisposition auf die von den Parteien absichtsvoll betriebene Politisierung der Pandemie trifft, erleben wir aktuell. Die Hoffnung, dass sich die Republik darüber ehrlich Rechenschaft ablegt, sollte sich keiner machen.