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"Er steht und fällt mit dem Öl"

Von Christine Zeiner

Politik

Interview mit Venezuela-Expertem. | "Wiener Zeitung":Was ist wirtschaftlich in Venezuela seit dem Amtsantritt von Hugo Chávez passiert?


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Andreas Boeckh: Die Regierung hat es sich zum Programm gemacht, den kooperativen Sektor zu stärken, Arbeiter mitbestimmen zu lassen. Manche Unternehmen und Großgrundbesitzer werden gegen Entschädigung enteignet.

Wer profitiert davon?

Es geht natürlich vielen besser, gerade bei den Ärmsten kommt einiges an, und man kann natürlich immer Beispiele bringen, wo etwas nicht funktioniert. Aber: Vieles ist tatsächlich korrupt, vieles läuft chaotisch ab.

Was ist mit dem Privatsektor?

Der ist außerordentlich geschwächt. So wie Chávez mit dem Privatsektor umspringt, wie er die Oligarchie beschimpft, würde ich mir auch überlegen, ob es sich lohnt, zu investieren. Abgesehen davon sind außer dem Erdölsektor keine Bereiche konkurrenzfähig.

Venezuela - fünftgrößter Exporteur von Erdöl - profitiert von den hohen Ölpreisen.

Chávez tut sich gerade sehr leicht, zu subventionieren. Ökonomisch sinnvoll wäre aber zu sagen: Das ist momentan ein konjunktureller Glücksfall, und wir planen längerfristig. Denn was passiert, wenn der Ölpreis sinkt oder weiter steigt, und man auf andere Energieträger ausweicht? Aber wahrscheinlich hätte es jede andere Regierung genauso gemacht.

Chávez bietet unter anderem Uruguay günstige Konditionen bei Öllieferungen, demnächst tritt Venezuela dem Mercosur ("Gemeinsamer Markt des Südens") bei. Wird Chávez zur Leitfigur?

Der Beitritt ist nicht nur ein politisches Projekt, er hat ernste, wirtschaftliche Konsequenzen. Im Prinzip müssten sämtliche Bereiche geschützt werden, denn Venezuelas Industrie ist, wie gesagt, nicht konkurrenzfähig - schon gar nicht gegen Große wie Brasilien. Chávez steht und fällt mit dem Öl. So lange Chávez zahlt, sind die anderen auf seiner Seite. Aber was, wenn nicht?

Prof. Dr. Andreas Boeckh lehrt und forscht am Institut für Politikwissenschaft (Lehrstuhl für Politik in Lateinamerika) an der Universität Tübingen und kehrte soeben von einer Reise aus Venezuela zurück.