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Bundespräsident Thomas Klestil ist tot. Es war ihm nicht mehr vergönnt, sich in seinem Ruhestand von den Strapazen seiner 12-jährigen Amtstätigkeit zu erholen, die ihn auch gesundheitlich schwer in Mitleidenschaft gezogen haben.
Der am 3. November 1932 in Wien-Erdberg als Sohn eines Straßenbahners geborene Klestil hatte nach absolviertem Studium der Handelswissenschaft eine diplomatische Karriere eingeschlagen. 1966 wurde Klestil vom damaligen Bundeskanzler Josef Klaus in sein Kabinett berufen. Danach lag sein Schwerpunkt in den USA: Von 1969 bis 1974 war er österreichischer Generalkonsul in Los Angeles, 1978 wurde er Botschafter bei der UNO in New York, 1982 österreichischer Botschafter in Washington. 1987 kehrte er als Generalsekretär des Außenministeriums in die Heimat zurück.
1992 stellte ihn der damalige ÖVP-Obmann Erhard Busek für die Bundespräsidentschaftswahl auf. Mit dem Slogan "Macht braucht Kontrolle" trat Klestil gegen den favorisierten SPÖ-Politiker Rudolf Streicher an, der allerdings etwas bedächtiger wirkte als der Diplomat. Klestil hingegen versprach auch in seinem Auftreten, ein aktiver Bundespräsident zu werden. Im zweiten Wahlgang erhielt Klestil denn auch knapp 57 Prozent der Stimmen, und bei seiner Wiederwahl im Jahr 1998 gab es gleich im ersten Wahlgang 63,5 Prozent. SPÖ und FPÖ hatten freilich keinen eigenen Kandidaten aufgestellt.
Der Bundespräsident hatte zu diesem Zeitpunkt allerdings schon die ersten Rückschläge einstecken müssen. Schon 1994 hatte Klestil die Trennung von seiner Frau Edith, mit der zusammen er noch einträchtig den Wahlkampf bestritten hatte, bekannt gegeben. Die Scheidung und die neue Heirat mit Margot Löffler erfolgte allerdings erst 1998 nach seiner erfolgreichen Wiederwahl.
Im Jahr 1996 zeigten sich dann erstmals die gesundheitlichen Probleme, deren Spätwirkungen ihn schließlich das Leben kosten sollten. Im September erkrankte er an einer atypischen Lungenentzündung, musste im AKH in künstlichen Tiefschlag versetzt, nach seiner Entlassung wegen einer Lungenembolie erneut eingeliefert werden. Erst im Jänner 1997 konnte er wieder seine Amtsgeschäfte voll aufnehmen, der angeschlagene Gesundheitszustand machte sich aber immer wieder bemerkbar, auch während seiner zahlreichen Auslandsreisen.
Auf innenpolitischer Ebene musste Klestil bald zur Kenntnis nehmen, dass sein Wunsch nach einer dynamischen Gestaltung seines Amtes auf wenig Gegenliebe stieß. 1994 widersprach der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky Klestils Begehren, die Beitrittsurkunde zur EU mit zu unterschrieben. Gestritten wurde ebenso darüber, ob Klestil oder Vranitzky Österreich im Rat der Staats- und Regierungschefs vertreten sollte. Gleichfalls in Konflikt zur SPÖ brachte sich der Präsident, als er statt dem Erstgereihten des Nationalrates die drittgereihte Juristin Lisbeth Lass zum Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes ernannte. Kurze Zeit später nahm ihm das Parlament auch diesen bescheidenen Entscheidungsspielraum.
Am deutlichsten wurden die eingeschränkten Kompetenzen des Amtes bei der Regierungsbildung nach der Nationalratswahl 1999. Klestil, erklärter Anhänger der großen Koalition, versuchte mit allen Mitteln, eine ÖVP-FPÖ-Regierung zu verhindern, musste schließlich aber mit versteinerter Miene die Angelobung vornehmen - auch im Jahr 2003 verhinderten seine Präferenzen für eine "Koalition der breiten Mehrheit" das schwarz-blaue Kabinett Schüssel II nicht.
Klestil lotete also immer wieder die innenpolitischen und verfassungsmäßigen Möglichkeiten seines Amtes aus, immer wieder stieß er an die Grenzen. Seinen Wunsch, ein aktiver Bundespräsident zu sein, konnte der Diplomat somit vor allem in den außenpolitischen Beziehungen verwirklichen.
Dies tat er nach Kräften: Nach der schwierigen Ära von Bundespräsident Kurt Waldheim war er um rasche Verbesserung der Beziehungen zu den anderen europäischen Staaten und den USA bemüht - auch schon im Hinblick auf Österreichs Beitritt zur EU, den der überzeugte Europäer vehement vorantrieb. Als erstes österreichisches Staatsoberhaupt besuchte er 1994 Israel und erinnerte vor der Knesset daran, dass "manche der ärgsten Schergen der NS-Diktatur Österreicher waren". Eine Vorreiterrolle nahm Klestil auch im Hinblick auf die EU-Erweiterung Richtung Osten ein. 1994 lud er erstmals zum mitteleuropäischen Präsidententreffen ein, das mittlerweile zur Institution gereift ist.
Insgesamt absolvierte Klestil 130 Auslandsbesuche, viele davon in Begleitung umfangreicher Wirtschaftsdelegationen. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl wurde nicht müde, die Bedeutung dieser Reisen zu betonen. Gerade in Ländern wie China, Russland oder im arabischen Raum, wo die Geschicke der Wirtschaft stark von staatlicher Seite gelenkt werden, öffnete der hohe Besuch den österreichischen Exporteuren viele Türen. Aber diese zahlreichen Auslandsreisen forderten ihren Tribut - oft konnte sich der Staatsmann, in Mitleidenschaft gezogen von Klimaanlagen in Flugzeugen und Hotels, nur mit heiserer Stimme verständigen. Im vergangenen Jahr hatte er abermals mit einer Lungenentzündung und einer Operation an beiden Achillessehnen zu kämpfen.
Wahrscheinlich hätte er sich aber auch nach seinem Rückzug von der Spitze keine Ruhepause gegönnt. So war bereits im Gespräch, dass er seine Auslandskontakte zu Gunsten Wiens nutzen sollte, auch in einem Gremium ehemaliger Staats- und Regierungschefs wollte er sich engagieren. Dazu ist es nicht mehr gekommen - rund 36 Stunden vor der Amtsübernahme durch seinen Nachfolger Heinz Fischer schied Thomas Klestil im Wiener AKH aus dem Leben.