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"Erdgas aus dem Nordirak wäre die billigste Option"

Von Veronika Eschbacher

Politik

Der IEA-Chefökonom über Änderungen in der künftigen Energielandschaft.


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Diese Woche wurde der "World Energy Outlook 2012" von der Internationalen Energieagentur (IEA) veröffentlicht. Der Bericht sagt radikale Umwälzungen in der globalen Energiewirtschaft voraus, die laut Analysten das weltweite Machtgefüge ändern.

"Wiener Zeitung": In Ihrem Bericht kommen Sie zur Erkenntnis, dass vor allem die Schieferöl- und Schiefergasproduktion der USA die weltweite Energiewirtschaft umwälzen wird. Es gibt Experten, die Ihre Einschätzung für die Schiefergasproduktion in den USA für überzogen halten.

Fatih Birol: Natürlich kann man nie hundertprozentige Voraussagen treffen. Die Technologie ist aber weit fortgeschrittener als noch vor vier, fünf Jahren und die Unterstützung der amerikanischen Regierung ist vorhanden. Das einzige Hindernis, das ich momentan sehe, ist der Preis, der für Schiefergas aktuell erzielt wird - er liegt bei etwas über 3 Dollar pro MBtu (Britische Wärmeeinheit, Anm.). Dieser sollte bei 5 bis 6 Dollar liegen, um Anreize für Investitionen zu bieten. Den Skeptikern sei noch gesagt: Innerhalb der letzten fünf Jahre wurden in den USA 200 Milliarden Kubikmeter Schiefergas produziert. Das ist gleich viel wie die aktuellen russischen Gasexporte.

Sie sagen zudem voraus, dass die Vereinigten Staaten künftig Gas exportieren werden, aber auch der Irak massiv einsteigen wird. Wie wird sich das auf die europäischen Pipelineprojekte auswirken?

Die Konkurrenz für alle Pipelineprojekte wird stark ansteigen. Sie alle haben ihre Vor- und Nachteile. Die Projekte, die wirtschaftlicher sind und mehr politische Unterstützung erhalten, werden die Gewinner sein. Wir fanden heraus, dass Erdgas vom Nordirak - also aus der stabilen kurdisch-irakischen Region - über die Türkei nach Europa eine der billigsten Optionen wäre. Das kann innerhalb des Nabucco-Projekts sein, aber auch in einem anderen Kontext. Aber für alle Projekte gilt, dass die Bedingungen noch rauer werden und die Verwirklichung noch schwieriger wird aufgrund des wachsenden Gasbedarfs in Europa und die zunehmende Verfügbarkeit von Gas über Pipelines sowie Flüssigerdgas.

Die neuen Player werden vor allem Russland starke Konkurrenz machen.

In der Tat. Russland muss die neuen Entwicklungen im Erdgassektor beachten, wenn sie ihre Business-Strategie überarbeiten. Ich wäre nicht überrascht, wenn Russland sich künftig mehr und mehr in Richtung Asien orientiert. So etwa sinkt in Japan die Atomstromproduktion. Das heißt gleichzeitig, dass die Gasnachfrage steigen wird. Das öffnet eine neue Tür für Russland, wenn es auch hier mit Australien in Wettbewerb treten muss.

Den Irak sehen Sie zum zweitgrößten Erdölexporteur aufsteigen. Angesichts der politischen Instabilität nicht eine zu optimistische Sicht?

Ob die Einschätzungen für den Irak optimistisch oder pessimistisch sind, hängt von der Person, die sie tätig, ab. Geht es nach der irakischen Regierung, sind unsere Einschätzungen sehr pessimistisch, sie selbst erwarten weit höhere Zahlen. Aber auch mit den von uns niedriger angesetzten Fördermengen wird der Irak ein "Game-changer". Wichtig ist vor allem, dass eine Vereinbarung über die Regelung des Öl- und Gassektors zwischen der Zentralregierung und den Regionalregierungen getroffen wird. Ohne verbindliche Rahmenbedingungen für Investitionen sehe ich keinen großen Boom in der irakischen Ölproduktion.

Welches Land wird nach der Veröffentlichung des "World Energy Outlook" wohl am schlechtesten schlafen?

Nun, ich hoffe, dass es nicht die europäischen Länder sein werden.