Sicherheitspolitik-Experte Stanley Sloan: Russland sei mehr lästig als mächtig, die Türkei wackle als wichtiger Eckstein des Westens.
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"Wiener Zeitung": Die Bürger der Türkei stimmen am Wochenende über eine Verfassungsreform ab. Ist die Türkei der "Kranke Mann am Bosporus", eine Großmacht im Niedergang?
Stanley Sloan: Die Türkei ist Mitglied der Nato. Das Bündnis hat nun seine liebe Not, dafür zu sorgen, dass die Türkei ein Teil des Westens bleibt. Wir werden ja sehen, ob Recep Tayyip Erdogan zu einer Art Wladimir Putin auf Osmanisch wird. Die Strategie der Vereinigten Staaten war es immer, die Europäer dazu zu drängen, dass die Türkei ein EU-Mitglied wird. Heute kann man die Frage stellen, ob das so schlau war. Denn die wenigsten europäischen Länder sehen für die Türkei eine Zukunft in der Union. Gleichzeitig hat man die Türkei frustriert, der man ständig die EU-Karotte vor die Nase gehalten hat. Doch der europäische Traum der Türkei scheint ausgeträumt. Erdogan poltert und sagt: "Moment, wir sind ein wichtiges Land, und die Europäer behandeln uns wie Dreck!" Wo also soll die Türkei ihren Platz finden? Dazu kommt noch die Kurden-Frage: Die Kurden haben legitime Hoffnungen auf Selbstverwaltung und Autonomie. Die Türkei wiederum hat genauso legitime Sorge um die Einheit des Staates und um den Zusammenhalt der türkischen Gesellschaft. Diese beiden Ziele scheinen aber sehr schwer vereinbar.
Sie haben vor nicht allzu langer Zeit einen offenen Brief verfasst, in dem Sie die europäischen Verbündeten beschwören, auch angesichts des 45. US-Präsidenten, Donald Trump, an der Seite der USA zu bleiben.
Dazu gibt es keine Alternative angesichts der Bedrohung von außen - verkörpert durch Wladimir Putin einerseits und den Terror in der Gestalt von IS andererseits - sowie der Herausforderungen durch populistische und nationalistische Bewegungen von innen.
Halten sie Russland für so gefährlich?
Ich glaube, dass Russland mehr lästig als mächtig ist. Russland hat eine Reihe von nur schwer zu lösenden inneren Problemen.
Und China?
China hat ökonomische und auch eine wachsende militärische Macht. Die Frage ist aber: Kann das politische System mit der Offenheit der Wirtschaft mithalten? Da habe ich große Zweifel.
Das politische System Ihres Landes, der USA, macht im Moment auch nicht den allerbesten Eindruck mit einem Mann wie Donald Trump im Weißen Haus.
Dieser Mann wurde aufgrund einer sehr seltsamen Verkettung unglücklicher Umstände 45. US-Präsident. Dazu kommt, dass er die Mehrheit der Wählerschaft nicht hinter sich hat. Allerdings: Die USA sind noch immer der wichtigste Faktor auf diesem Planeten. Auch wenn wir derzeit politisch Schwäche zeigen, so haben wir eine Reihe von wichtigen Stärken. Ökonomisch sind wir unumstrittene Nummer eins. Uns geht es ökonomisch viel besser, als das die Aussagen von Donald Trump vermuten ließen. Die Wirtschaft hat sich in den USA nach dem Beinahekollaps der Weltwirtschaft viel besser erholt als in den meisten anderen Ländern. Ich sehe also kein Bild der Vereinigten Staaten, die sich im Niedergang befinden. Was ich aber sehr wohl sehe: Die USA verlieren rapide an Soft Power und an Respekt. Unser Land ist viel besser als die Performance unserer derzeitigen Regierung. Die Vereinigten Staaten sind stark genug, sich von einer Trump-Präsidentschaft auch wieder zu erholen. Es wird aber darum gehen, das politische System dahingehend zu reformieren, dass es in Zukunft wieder besser funktioniert.
Was halten sie von den Verbindungen zwischen Trumps Umfeld und Kreml-Getreuen?
In dieser Sache gibt es so viel Rauch - da muss wohl auch Feuer sein. Trump war offenbar stets sehr stark auf finanzielle Vorteile bedacht. Aber die Dinge werden ja vom FBI untersucht.
Wie können die USA und Europa unter diesen Umständen auf Putin reagieren?
Putin beschwört die Bedrohung Russlands durch die Nato und den Westen. Diese von ihm aufgebaute lächerliche Nato-Bedrohungskulisse ist für ihn vor allem aus innenpolitischen Gründen bedeutsam. Was man aber nicht übersehen sollte: In Wirklichkeit ist das Modell des Westens, die freie, offene Gesellschaft die wahre Bedrohung für ihn. Denn letztlich wollen Menschen in Freiheit und Würde leben. Als Putin im Jahr 2000 Präsident wurde, war die Erfahrung der Russen mit Öffnung und Marktwirtschaft in den wilden Jahren von Boris Jelzin nicht die beste. Putin versprach Ordnung und Stabilität. Zuletzt haben wir aber gesehen, dass vor allem junge Menschen mit dem derzeitigen Putin-System alles andere als zufrieden sind. Das System scheint viel weniger stabil als der Kreml annimmt.
Wie soll der Westen reagieren?
Wir müssen Populisten des Westens werden, müssen den Menschen wieder Grund zur Hoffnung geben. Leider ist es leichter, Menschen mit Angst einzuschüchtern als sie mit Hoffnung zu mobilisieren. Also schüren die Demagogen die Angst vor Flüchtlingen, die Angst vor dem Terror - Angst ist aber kein guter Ratgeber. Die Populisten des Westens müssen eine Politik propagieren - nicht für das eine Prozent der Reichsten und Wohlhabendesten sondern für alle. Das Zauberwort, der Schlüssel zur Lösung aller Probleme lautet: Bildung. Aber vielleicht hat die Präsidentschaft von Donald Trump oder der Brexit auch sein Gutes: Vielleicht wachen die Zentristen auf und arbeiten wieder quer über die Parteigrenzen zusammen.
Und es geht auch darum, stolz zu sein auf die Werte des Westens: Rechtsstaatlichkeit, Freiheit. Ich bin auch jemand, der an das westliche kapitalistische System der Marktwirtschaft glaubt. Aber auch wenn ich jetzt wie der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders klinge: Das muss ein gerechteres System sein; der Durchschnittsbürger muss von diesem System wieder mehr profitieren.
Stanley Sloan ist einer der Top-Experten für transatlantische Beziehungen und das Nato-Bündnis. Er ist Mitglied des Atlantic Council in Washington und Autor mehrerer Bücher. Er war auf Einladung des Austrian Institute for European and Security Policy in Wien.