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Erdogan in Wien

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Der türkische Premier Erdogan ist auf Wahlkampftour durch halb Europa, am Donnerstag ist Wien an der Reihe. Dank eines neuen Wahlrechts dürfen bei den Präsidentschaftswahlen im August erstmals auch Auslandstürken ihre Stimme abgeben. Erdogans Europapolitik ist tatsächlich türkische Innenpolitik, allerdings in einem etwas anderen Sinne als dieser Slogan in der EU immerzu beschworen wird.

Türkischer Wahlkampf in Wien-Donaustadt: Ja, darf Erdogan denn das? Ja. Ob es elegant ist, ist eine andere Frage. Und soll er es auch dürfen dürfen? Unbedingt. Solange etwas nicht - mit guten Argumenten unterlegt - verboten ist, muss es auch zulässig sein. Das Recht, dagegen in aller Öffentlichkeit zu demonstrieren, ist untrennbar mit dieser Freiheit verbunden.

Dieser liberale Grundsatz gerät gerade in Österreich zu oft in Vergessenheit. Das Bedürfnis zu verbieten, was einem nicht passt, gehört offensichtlich zur Grundausstattung unserer politischen Psyche. Variabel ist lediglich, warum Missliebiges verboten werden soll - ob aus autoritär-paternalistischen oder vorgeblich emanzipativen Motiven, ist dabei einerlei.

Der Besuch Erdogans polarisiert deshalb, weil er uns offen darauf hinweist, dass man in dem einen Land leben und sich doch einem anderen verbunden fühlen kann. Von den beispielsweise rund 270.000 Menschen mit türkischen Wurzeln haben etwa 115.000 auch die türkische Staatsbürgerschaft. Kein Staat teilt gerne die Loyalität seiner Bürger mit einem Nebenbuhler. Die Vorstellung von der Nation als Schicksalsgemeinschaft ist vielleicht hartnäckig, aber im europäischen Maßstab passé.

Das macht die Frage umso dringender, wie eine Demokratie mit all jenen politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen umgehen soll, die ihren eigenen Prinzipien widersprechen. Toleranz kann es hier nicht geben. Dies würde bedeuten, dass sich die Demokratie selbst abschafft, wenn eine Mehrheit dafür stimmt. Wer dies für Demokratie hält, hat nichts verstanden. Verbote nützen allerdings auch nichts, solange kein konzertierter Angriff auf die demokratischen Institutionen droht. Was bleibt, ist hartnäckige Überzeugungsarbeit - wer will, gerne mit Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Manchmal aber verschafft man genau dadurch dem Gegner nur jene Aufmerksamkeit, die sich dieser so dringend wünscht und braucht.