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"Erdogan ist oft beste Realsatire"

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik
Tuncay Akgün (l.), Chefredakteur des Satiremagazins "LeMan", scheut keinen Konflikt mit der türkischen Regierung. Hakan Bilginer (r.) bringt in seiner "Zaytung" satirische Online-Nachrichten.
© Nordhausen

In der Türkei bewegen sich Satiriker auf dünnem Eis - die "Wiener Zeitung" besuchte zwei von ihnen.


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Istanbul. Was wäre passiert, wenn ein Satiriker gewagt hätte, das Schmähgedicht Jan Böhmermanns auf Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im türkischen Fernsehen vorzutragen? Bei dieser Frage muss Hakan Bilginer nicht lange überlegen. Der Mann mit den schelmischen Augen lacht. "Er sollte zusehen, dass er eine möglichst große Distanz zwischen sich und die Türkei bringt."

Hakan Bilginer ist der erfolgreichste Satiriker der Türkei. Er sitzt in einem Gartencafé im Istanbuler Szenebezirk Kadiköy mit Blick auf den Bildschirm des Laptops. Sein Produkt mit dem Fantasienamen "Zaytung" ist das meistgelesene türkische Satire-Portal im Internet, es hat eine halbe Million Follower bei Facebook und drei Millionen bei Twitter. Über den ZDF-Satiriker Böhmermann wird er nichts schreiben, denn dessen Streit mit Erdogan sei "kein wirklich heißes Thema hier", sagt der 37-Jährige. Schließlich kennten die Leute den Text gar nicht. "Niemand würde es wagen, das Erdogan-Gedicht zu publizieren. Wer ist schon gern im Gefängnis?", fragt Bilginer.

Für ihn ist die Auseinandersetzung mit dem dünnhäutigen Staatschef andererseits das tägliche Brot. "Man muss eigentlich nur Erdogans Äußerungen eins zu eins abdrucken, das ist oft beste Realsatire." "Wir produzieren eine satirische Version der täglichen Nachrichten", sagt er. "Wie eine normale News-Seite, nur lustiger."

"Reich und glücklich"

Er deutet auf einen kürzlich erschienenen Text. "Die Türkei erklärt, sie sei das reichste und glücklichste aller Länder, in deren Hauptstädten Bomben explodieren", steht da in Anspielung auf die stets optimistischen Verlautbarungen der Regierung aus Ankara. Solche Witze sind möglich, weil das Internet trotz der zunehmenden Repression gegen kritische Medien in der Türkei immer noch Freiräume bietet. Doch zunehmend sei Satire der einzige Bereich türkischer Medien, in dem überhaupt noch oppositionelle Stimmen zu Wort kämen. "Trotzdem sind wir sehr vorsichtig", sagt Bilginer. "Wir üben Kritik, verwenden aber nie Beleidigungen."

Der ehemalige IT-Ingenieur hat "Zaytung" 2010 gegründet, weil er eine neue Form der Unterhaltung im Internet ausprobieren wollte. Heute arbeiten bei "Zaytung" fünf festangestellte Redakteure und zwanzig freie Mitarbeiter. 100.000 registrierte Nutzer geben Tipps und Anregungen. "Die jungen Leute, die uns folgen, schauen praktisch kein TV, weil dort nur noch Erdogan läuft." Vor allem seit den landesweiten regierungskritischen Gezi-Protesten vor drei Jahren ist "Zaytung" Kult.

Es gibt aber auch eine tief verwurzelte Tradition satirischer Zeitschriften in der Türkei. Der bekannte Istanbuler Karikaturist Tuncay Akgün gründete 1991 das wöchentliche Satiremagazin "LeMan". Mit rund 15.000 Exemplaren wöchentlich zählt das Heft noch immer zu den bestverkauften Comics der Türkei. Anders als "Zaytung" scheut "LeMan" keine Konflikte mit der Regierung. Für ihn sei Satire nicht Unterhaltung, sondern politische Auseinandersetzung, sagt der 54-jährige Chefredakteur Akgün im zugehörigen "LeMan-Cafe" nahe dem zentralen Taksim-Platz.

Natürlich hat Erdogan das Blatt mehrfach geklagt. Meist endete es mit Freispruch, erzählt Akgün. "Wir sind kein primäres Ziel. Aber wie alle rechten Regime hat die Regierung kein Verständnis dafür, dass Satire immer auf der Seite der Schwachen steht und die Mächtigen attackiert." "LeMan" akzeptiert keine Werbung, sondern lebt nur vom Verkauf des Magazins. Selbstzensur komme für ihn und seine 40 Mitarbeiter nicht in Frage. Der politisch-juristische Druck zwinge sie sogar, noch subtiler, ironischer, witziger zu werden.

Absurder Rechtsstreit

Derzeit ist das Magazin in einen absurden Rechtsstreit verstrickt mit einigen Muchtaren, Dorfvorstehern, die Erdogan wöchentlich in seinen Palast in Ankara einlädt, um ihnen eine vom Fernsehen live übertragene Rede zu halten. Sie klagen gegen das "LeMan"-Titelbild vom 30. März, das Erdogan zeigt, wie er ein Selfie mit einem grimmig blickenden Muchtar knipst und dazu sagt: "Komm Muchtar, lass uns den Konsuln zeigen, wie man ein Selfie aufnimmt" - eine Anspielung auf ein Selfie, das der britische Generalkonsul in Istanbul beim Prozess gegen den Erdogan-Kritiker Can Dündar mit diesem aufnahm. Den Muchtaren missfällt, dass ihr fiktives Ebenbild angeblich wie der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan aussieht. Ein Staatsanwalt erhob Anklage - Realsatire pur.

Als Replik druckte "LeMan" in seiner neuesten Ausgabe ein Bild Öcalans, der sich über die Karikatur aufregt: "Sieht überhaupt nicht aus wie ich!", und auf dem Titel ein Selfie-Bild mit einem übertrieben smarten Erdogan und ebenso adrett gezeichneten Muchtar. "Der Präsident macht sich lächerlich, aber seine Anhänger scheinen es nicht einmal zu merken", kichert Tuncay Akgün. "Aber ehrlich gesagt, langweilt mich Erdogan. Ich sehne mich nach neuen Gesichtern." Manchmal fragt er sich, was aus seinem Blatt werden soll, wenn es den Präsidenten einmal nicht mehr geben sollte. Wirkliche Sorgen bereitet ihm das nicht. "Unsere Gesellschaft hat zweifellos das Potenzial, einen neuen Erdogan hervorzubringen."