Erdowie-Video jetzt auch mit türkischen Untertiteln.
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Das Lied trägt den Titel "Erdowie, Erdowo, Erdogan". Es war eine Satire über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdogan. In den staatsnahen Sendern der Türkei wird man so etwas nicht hören. In der deutschen ARD will es die türkische Regierung nicht sehen. Der deutsche Botschafter in der Türkei wurde deshalb ins Außenministerium in Ankara zitiert, wo er sich für die knapp zweiminütige Satire rechtfertigen musste. Wie aus diplomatischen Kreisen zu erfahren war, verlangte man die Löschung der Sendung.
Der Effekt des türkischen Ereiferns: Das Video wurde zum Hit auf Youtube, die Macher der Satiresendung extra 3 bedanken sich bei Erdogan für die Gratiswerbung. Wobei sie von Haus aus mit der Humorresistenz der türkischen Führung spekulieren konnten. Immerhin enagierte die Justiz vor wenigen Monaten gleich fünf Gutachter, um der Frage nachzugehen, ob der Vergleich von Erdogans Mimik mit dem Mienenspiel des Tolkien-Charakters Gollum eine Beleidigung darstelle oder nicht.
Der Refrain des umgetexteten Nena-Songs "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" lautet "Erdowie, Erdowo, Erdowahn, er lebt auf großem Fuß, der Boss vom Bosporus." Dazu werden Bilder von Erdogans neuem Palast gezeigt, der ob seiner Größe und Kosten umstritten ist. Zu Bildern von der Abführung eines Journalisten und der Erstürmung einer Redaktion lautet der Text: "Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast."
Bilder eines Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, bei dem sich beide die Hände schütteln, sind unterlegt mit dem Text "Sei schön charmant, denn er hat Dich in der Hand".
"Erdogan hat offenbar die Bodenhaftung verloren"
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) bezeichnete die diplomatische Intervention von Erdogan gegen die NDR-Satire am Dienstag als "lächerlich". Der türkische Machthaber habe "offenbar die Bodenhaftung verloren", sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall. "Wenn er wegen einer Satire den deutschen Botschafter in den Senkel stellt, haben die Macher von extra 3 ins Schwarze getroffen. Glückwunsch dazu!"
Erdogans außenpolitische "Empörung" sei "so lächerlich, dass er sich zum Gespött der sozialen Netzwerke gemacht hat." Über das berechtigte Gelächter dürfe aber nicht übersehen werden, dass "die Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei bittere Realität ist", so Überall.
Update 1: Zurückweisung
Nach einer längeren Schrecksekunde wies das deutsche Auswärtige Amt die türkische Forderung zurück. Die Pressefreiheit sei trotz aller gemeinsamen Interessen mit der Türkei für die Bundesregierung nicht verhandelbar, sagte Sawsan Chebli, die Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Mittwoch in Berlin. Laut der stellvertretenden Regierungssprecherin Christiane Wirtz habe die Bundesregierung ihre Haltung zur Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit "auf diplomatischem Wege" deutlich gemacht.. Damit bezog sie sich auf die Einbestellung des Bortschafters.
Schließlich erinnerte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch die Türkei an europäische Grundwerte wie die Pressefreiheit und die Freiheit der die Kunst.
Tatbestand "Präsidentenbeleidigung"
Kritiker im In- und Ausland werfen Erdogan und der Regierung in Ankara vor, mit immer drastischeren Mitteln gegen kritische Journalisten und Medien vorzugehen. Auch die EU beklagt einen zunehmenden Druck auf die Medien im Beitrittsbewerberland. Die türkische Regierung weist die Vorwürfe zurück.
Zudem brachte Erdogan zuletzt neben Journalisten und Bloggern auch vermehrt einfache Bürger, darunter Jugendliche, wegen "Präsidentenbeleidigung" vor Gericht.
Update 2: Türkische Untertitel und Dankeschön
Mittlerweile hat die Redaktion von extra 3 nachgelegt und eine Version mit türkischen Untertiteln veröffentlicht:
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Auf die Zensuraufforderungen des türkischen Staatspräsidenten reagierte die Redaktion der Satiresendung mit Spott: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Pfarrer, Imam oder Rabbi", heißt es in einem Tweet zum Video.
Als Dank für die weltweite Aufmerksamkeit präsentierte sie Erdogan auf Facebook als Mitarbeiter des Monats. Und bot ihm auch gleich ein Geschäft an: "Für jeden Witz, den türkische Satiriker über Erdogan machen dürfen, nehmen wir in Deutschland einen Erdogan-Witz zurück."
(Quellen: APA, dpa, Onlinemedien)
Erdogan gegen Beobachter
Der ernste Hintergrund: Erdogan hat auch wütend auf die Anwesenheit ausländischer Diplomaten bei dem umstrittenen Prozess gegen den Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und dessen Kollegen Erdem Gül reagiert. Das Verfahren wurde von Vertretern Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Österreichs besucht. "Wer sind Sie? Was machen Sie da?", fragte der türkischen Staatspräsident, der als Nebenkläger in dem Prozess auftritt.
Frankreich hat die Kritik kühl zurückgewiesen: "Diese Praxis steht im Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen."
Doch die türkische Justiz soll nicht kontrolliert werden. Der weitere Prozess findet Antrag der Staatsanwaltschaft hinter verschlossenen Türen statt.