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Erdogan reist nach Brüssel: Türkei weist mehr Vorhaben als Erfolge vor

Von Martyna Czarnowska

Analysen

Die Gespräche verlaufen meist ähnlich. Zuerst eine resigniert wegwerfende Handbewegung. "Komm mir bloß nicht mit der EU daher", soll das heißen. "Darüber will ich gar nicht reden." Und dann folgt eine lange Erklärung. | Zwar schwindet das Interesse vieler Türken an der Europäischen Union und ist die Zustimmung zur Möglichkeit einer EU-Mitgliedschaft in wenigen Jahren gesunken. Doch die Verbitterung über das Gefühl des Abgewiesen-Werdens bleibt. "Die in Europa wollen uns doch gar nicht", ist immer wieder zu hören.


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Nicht so oft ist hingegen die Rede von der eigenen Verantwortung. Die Türkei selbst hat nämlich gerade im vergangenen Jahr wenig dazu beigetragen, die Einwände gegen sie zu entkräften. Hat das Kabinett von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach 2002 mehr Reformen zur Demokratisierung des Landes eingeleitet als alle Regierungen davor, ist von weiteren Fortschritten spätestens nach der Wiederwahl der Regierungspartei AKP im Juli 2007 so gut wie nichts mehr zu spüren. Zu sehr war die AKP seither mit innenpolitischen Problemen beschäftigt.

Wenn Premier Erdogan am Wochenende zu einem Besuch nach Brüssel aufbricht - erstmals wieder nach vier Jahren - kann er also mehr auf Vorhaben denn auf Vollbrachtes verweisen. "2008 wird das Jahr der EU", hatte die Staatsspitze vor einem Jahr versprochen. Es blieb bei Worten. Die Türkei hat weder ihre Flughäfen und Häfen für griechisch-zypriotische Flugzeuge und Schiffe geöffnet, noch eine - notwendige - neue Verfassung beschlossen. Die Umsetzung von Strafrechtsänderungen geht ebenso langsam voran wie etwa der Aufbau einer zivilen Kontrolle über die einflussreiche Armee. Wie der in Brüssel ansässige Thinktank International Crisis Group aufzeigt, hat Ankara lediglich ein Sechstel von 119 rechtlichen Maßnahmen beschlossen, die sich die Türkei im April 2007 selbst auferlegt hatte.

Immerhin wurde vor wenigen Tagen der Posten eines Europaministers geschaffen und der 38-jährige Egemen Bagis, außenpolitischer Berater Erdogans, mit den EU-Gesprächen betraut. Ali Babacan sei mit seiner Doppelfunktion als Außenminister und EU-Chefverhandler überfordert, hatte es immer wieder geheißen. Staatspräsident Gül wiederum hat das Dritte Nationale Programm angenommen, das die Regierung für den Weg der Türkei in die Europäische Union ausgearbeitet hat.

Die Reformpläne reichen von Änderungen im Handelsrecht oder im Anti-Korruptionsgesetz über den Aufbau einer Einheit zur Grenzsicherung bis hin zu einer neuen Strategie für die industrielle Entwicklung des Landes. Allerdings stehen im März Lokalwahlen an, die Regierung könnte also wieder andere Probleme haben. Ob 2009 das Jahr der EU wird, ist ungewiss.