Zum Hauptinhalt springen

Erdogan-Sieg bei Verfassungsreform

Von Martyna Czarnowska aus der Türkei

Europaarchiv

Einschränkung der Militärgerichtsbarkeit steht bevor. | Parteipolitisches Hickhack im Vorfeld des Votums. | Ankara/Istanbul. Normalerweise wäre Recep Tayyip Erdogan nach Ankara zurückgefahren und hätte dort seine Siegesrede gehalten. Stattdessen blieb der türkische Ministerpräsident am Sonntagabend in Istanbul und ging ins Stadion. Dort sah er sich das Finale der Basketball-WM an, in das sein Land erstmals eingezogen ist. | Analyse: Die Türkei bleibt auch mit der neuen Verfassung tief gespalten


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Und auch wenn schließlich die USA Weltmeister wurden - für Erdogan war es trotzdem ein guter Tag. Denn einen anderen Kampf hatte er da schon gewonnen. Beim Referendum über die Änderung der Verfassung hatten 58 Prozent der Wähler Ja zu den Vorschlägen der Regierung gesagt.

Auf den Tag genau 30 Jahre nach einem Militärputsch hatte das Volk darüber zu entscheiden, ob der damals von der Armee diktierte Gesetzestext teilweise geändert wird. Mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten nutzten die Möglichkeit - obwohl die prokurdische Partei BDP zu einem Boykott des Urnengangs aufgerufen hatte. So gaben im von vielen Kurden bewohnten Osten des Landes zwar weniger Menschen ihre Stimme ab - in Diyarbakir etwa nur jeder Dritte und in Hakkari nicht einmal jeder Zehnte -, doch fiel die Zustimmung dort deutlich aus. In manchen Provinzen sagten mehr als 90 Prozent der Wähler Ja zu den geplanten Änderungen. In Ankara und Istanbul waren es etwas mehr als die Hälfte. Die Westküste der Türkei hingegen stimmte geschlossen dagegen. In diesen Gebieten hat die oppositionelle CHP mehr Sympathisanten als in anderen.

Wahlkampf mit Angst

Die Abstimmung war nämlich nicht zuletzt ein Votum für oder gegen die Regierungspartei. In ihrer Kampagne im Vorfeld des Urnengangs schürte die CHP Ängste, dass Erdogans AKP mit ihren islamischen Wurzeln noch mehr Macht im Land an sich reißen möchte und so den Laizismus gefährden könnte. Umgekehrt sparte auch die AKP nicht mit drastischen Aussagen. Wer gegen die neue Verfassung sei, sei für den Schutz der Putschgeneräle, meinte etwa Erdogan. Immerhin ermöglichen es die Gesetzesänderungen nun, die einstigen Militärs vor Gericht zu bringen.

Die Justiz betreffen denn auch einige der wichtigsten - und heftig umstrittenen - Neuregelungen. So soll die Militärgerichtsbarkeit eingeschränkt werden: Beschlüsse des Obersten Militärrates, der etwa über Beförderungen und Entlassungen entscheidet, unterliegen künftig der Kontrolle durch die zivile Justiz.

Änderungen soll es auch beim Verfassungsgericht geben. Die Zahl der Richter wird von elf auf 17 erhöht, von denen drei das Parlament und 14 der Präsident ernennt. Künftig dürfen sich auch einzelne Bürger an das Höchstgericht wenden, was bisher politischen Parteien und dem Präsidenten vorbehalten war.

Ebenfalls erweitert werden soll der Richterrat, der für die Ernennung und Entlassung von Richtern und Staatsanwälten zuständig ist. Er wird nicht mehr aus sieben, sondern aus 22 Mitgliedern bestehen.

Mehr Frauenrechte

Insgesamt sollen die Verfassungsänderungen - wie auch von der EU verlangt - die Demokratie in der Türkei stärken. Die 26 Vorhaben umfassen Maßnahmen wie positive Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz, eine Ausweitung des Streikrechts oder die Ernennung eines Ombudsmanns. Dieser soll alle vier Jahre vom Parlament gewählt werden, die Kontrolle über die Verwaltung verbessern und Bürgerbeschwerden nachgehen.

All dies sei jedenfalls"ein erster Schritt" zu mehr Rechten und Freiheiten für die Bürger, kommentierte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle. Doch nun müssten weitere Reformen folgen. Laut Premier Erdogan hätten die Türken mit ihrem Ja zu den Regierungsplänen schon jetzt ein Fest der Demokratie begangen - parallel zu den Feierlichkeiten des zu Ende gegangenen Fastenmonats Ramadan. Und nebenbei wurden auch noch "Die zwölf Riesen" gefeiert: die türkischen Basketballspieler.