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Erdogan spielt mit Anti-Semitismus

Von Susanne Güsten

Politik

Türkei setzt in der Krise mit Israel mehr als ihr Prestige aufs Spiel. | Istanbul. (apa) Persönliche Betroffenheit ist in der Politik nicht immer ein guter Ratgeber. Vieles spricht dafür, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sein Entsetzen über das israelische Vorgehen gegen die Bewohner des Gaza-Streifens nicht nur zur Schau trägt.


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Mit ihrem Verhalten in der jüngsten Krise in den Beziehungen zu Israel setzt die türkische Regierung aber nicht nur ihr außenpolitisches Prestige aufs Spiel. Sie leistet einem gesellschaftlichen Klima Vorschub, in dem Anti-Semitismus als normal oder sogar notwendig erscheint.

Ironischerweise steckt in der neuen türkisch-israelischen Krise auch ein Stück demokratischer Emanzipation der Zivilisten in der Türkei. Lange Jahre bestimmten die Militärs die Leitlinien im Verhältnis zu Israel - nun sagten die Generäle auf Geheiß der zivilen Regierung ein Manöver mit den Israelis ab.

Der neue Spielraum der Regierung erweitert allerdings auch das Spektrum möglicher selbstverschuldeter Fehler. Die Absage des Militär-Manövers begründete Erdogan öffentlich mit "Forderungen aus der Bevölkerung" - reiner Populismus also.

Die Beziehungen der Türkei zu Israel haben sich seit dem vergangenen Winter stark verschlechtert. Nur wenige Tage bevor Israel im Gaza-Streifen einmarschierte, besuchte der damalige israelische Premier Ehud Olmert die Türkei. Nichts deutete damals auf die bevorstehende Militäraktion hin, weshalb sich Erdogan persönlich von den Israelis düpiert fühlte. Mit seinem denkwürdigen Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos kurz darauf protestierte er zudem gegen die nach seiner Meinung im Westen vorherrschende Haltung, den Israelis alles durchgehen zu lassen, auch einen Krieg gegen die Menschen in Gaza.

Erdogans Außenminister Ahmet Davutoglu sagt nun, der Türkei gehe es allein um eine Verbesserung der Situation für die notleidenden Menschen in Gaza. Tatsächlich ist die Türkei nicht daran interessiert, ihre Partnerschaft mit Israel vor die Hunde gehen zu lassen. Schließlich betrachtet sie sich als regionale Führungsmacht, die im Nahen Osten einen Draht zu allen wichtigen Akteuren hat. Gute oder zumindest stabile Beziehungen zu Israel sind zur Verwirklichung dieses Anspruchs unverzichtbar.

Doch Erdogan spielt mit dem Feuer. Mit der Dauer-Kritik an Israel erwecken er und seine muslimisch-konservative Regierung den Eindruck, dass sie im Nahost-Konflikt längst Partei sind. Mit radikalen anti-israelischen Gruppen geht Ankara nicht annähernd so scharf ins Gericht wie mit Israel. Palästinenser und Araber erscheinen in den Aussagen der türkischen Regierung meistens pauschal als Opfer israelischer Aggression.

Erdogan ist kein Anti-Semit. Aber mit seiner emotional geprägten und einseitigen Haltung zum Nahost-Konflikt ermuntert er anti-semitische Tendenzen im eigenen Land. Die anti-israelische Propaganda in einer neuen Fernsehserie des türkischen Staatssenders TRT ist ein Beispiel dafür. Natürlich ist die Regierung in einer Demokratie nicht verantwortlich für die Inhalte einer Fernsehsendung, auch wenn sie in einem staatlichen Sender läuft. Doch die Produzenten der Serie waren offenbar sicher, mit dem anti-israelischen Zuschnitt der Reihe einen Nerv zu treffen.

Diesen Nerv gibt es zweifellos. Erst vor kurzem ergab eine Umfrage, dass 42 Prozent der Türken keinen Juden als Nachbarn haben wollen.