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In Syrien wächst die Gefahr, dass ein neuer Kriegsschauplatz eröffnet wird.
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Nikosia. Am Montag erklärte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, dass die Türkei "jederzeit" ihre seit Tagen angekündigte Militärintervention in den nordsyrischen Regionen Afrin und Manbidsch starten könne. Bisher hatte Erdogan als wichtigsten Grund für die geplante Operation die Gefahr von Angriffen kurdischer Milizverbände auf die Türkei genannt. Jetzt sagte er laut türkischen Medien, es gehe darum, die Pläne der USA zur Aufstellung einer 30.000 Personen starken Grenzschutztruppe der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu verhindern. Erdogan warnte die USA, sich nicht zwischen die Türkei und die "Terroristen" zu stellen, "trotz allem" wolle er mit den USA in der Region zusammenarbeiten.
Eine militärische Intervention könnte eine neue schwere Krise zwischen Ankara und Washington auslösen. Die türkische Führung hat immer wieder klargemacht, dass sie einen zweiten kurdischen Quasi-Staat wie im Nordirak an ihrer Grenze zu Syrien nicht dulden werde. Die zweigeteilte kurdische Autonomieregion "Rojava" betrachtet Ankara als Bedrohung, weil sie auf das Unabhängigkeitsbestreben der Kurden in der Türkei ausstrahlt.
Ständiger Streitpunkt
Da die in Rojava regierende Partei der Demokratischen Union (PYD) sowie die YPG-Miliz Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei sind, nennt Erdogan sie ebenfalls "Terroristen". Ihre militärische Kooperation mit den USA unter dem Dach der multiethnischen Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist ein ständiger Streitpunkt mit Washington.
Am Samstag hatte Erdogan die Kurden in Afrin zur Kapitulation aufgefordert und gedroht, sie andernfalls innerhalb von "weniger als einer Woche" zu vernichten. Unklar ist, inwieweit das Vorgehen mit Russland, das kleinere Truppenkontingente in Afrin unterhält, abgesprochen ist. Der russische Außenminister Sergej Lawrow beschuldigte Washington am Montag vor Journalisten in Moskau, Syrien spalten und einen Regierungswechsel bewirken zu wollen. Konkret kritisierte Lawrow Medienberichte über mögliche Pläne der USA, gemeinsam mit den SDF Sicherheitszonen gegen den Einfluss Irans und des IS einzurichten. Lawrow warnte, dadurch würde ein großes Gebiet an der Grenze zur Türkei und zum Irak abgetrennt. Die Ankündigung "lege Befürchtungen nahe, dass Kurs auf eine Spaltung Syriens genommen wird", sagte er. Bereits seit Tagen verlegt die Türkei Panzer und Truppen an die Grenzen zur syrisch-kurdischen Enklave Afrin, die bisher vom Bürgerkrieg weitgehend verschont blieb, und zur westlich des Euphrat gelegenen, von den SDF kontrollierten Region Manbidsch. Laut kurdischen Medien beschoss türkische Artillerie in der Nacht zum Sonntag zwei Dörfer in der Provinz Afrin und tötete bei einem Gefecht einen YPG-Kämpfer. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete hingegen, mit Ankara verbündete Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) in der Stadt Azaz seien von Afrin aus beschossen worden; man habe das Feuer erwidert.
Dramatischer Appell
Seit der Operation "Euphratschild" von 2016 kontrolliert die türkische Armee eine rund 2000 Quadratkilometer große Fläche in Nordsyrien, die wie ein Keil zwischen den Kurdengebieten liegt.
Unterdessen wandte sich die kurdische Co-Vorsitzende der Kantonsverwaltung von Afrin, Hevi Mustafa, mit einem dramatischen Appell direkt an die türkische Regierung. Von Afrin gehe keinerlei Gefahr für die Türkei aus, sagte sie. "Wir wollen gute Beziehungen zu unseren Nachbarn unterhalten, wir wollen keinen Krieg." Doch habe die türkische Regierung bislang nie auf Gesprächsangebote reagiert. Sie forderte Ankara auf, Beweise für die behaupteten Angriffe der YPG auf die Türkei vorzulegen, was bisher nie geschehen sei.
In der Vergangenheit schreckte Präsident Recep Tayyip Erdogan trotz wiederholter Interventionsdrohungen stets davor zurück, den Kanton Afrin tatsächlich anzugreifen. Der entscheidende Grund dafür war bislang die russische Protektion der Kurden; laut kurdischen Medien hat die SDF dort zudem rund 20.000 Kämpfer stationiert.