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Istanbul - Die Türkei bekam ihr US-Ultimatum noch vor Saddam Hussein. 72 Stunden gebe Washington der türkischen Regierung, um im Parlament die Erlaubnis zur US-Truppenstationierung zu erwirken, teilte US-Außenminister Colin Powell seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül am Montagabend telefonisch mit. Binnen fünf Stunden wolle er eine verbindliche Antwort darauf haben, ob Ankara dazu bereit sei.
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Hastig versammelten sich die Spitzen von Regierung und Militär beim Staatspräsidenten, und wenige Minuten vor Ablauf der Frist bekam Powell seinen Rückruf: Die Türkei fügt sich in ihr Schicksal und macht mit. Noch bevor die erste Bombe auf Bagdad fällt, soll das türkische Parlament seine Absage an eine Kooperation revidieren und den Weg für die Stationierung von US-Truppen für die Nordfront gegen Irak freimachen.
Mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiteten die Amerikaner, um diese Wende in Ankara herbeizuführen. Wenn die Türkei noch rechtzeitig an Bord komme, dann bleibe es bei allen Absprachen, die im Vorfeld der Absage ausgehandelt wurden, versprach Powell: Dann bekomme die Türkei die versprochenen Milliardenhilfen, freie Hand für ihre Streitkräfte in Nordirak und ein Mitspracherecht bei der Neuordnung des Irak nach dem Krieg. Bleibe es aber beim türkischen Nein, dann würden die Beziehungen zwischen den beiden Ländern schwer beschädigt.
So viel Druck hätte es gar nicht mehr gebraucht, um das Parlament umzustimmen. Hatten einige Abgeordnete bei ihrem Nein zur US-Stationierung vor zwei Wochen noch geglaubt, damit den Krieg verhindern zu können, so sind ihnen diese Hoffnungen seither vergangen. Einen Vorgeschmack darauf, welche Folgen ein ohne sie geführter Krieg für sie hätte, bekamen die Türken auch schon. Die Türkische Lira fiel zeitweilig auf einen historischen Tiefstand, die nordirakischen Kurden verbrannten türkische Fahnen, die Amerikaner drohten Ankara mit einer Konfrontration im Nordirak. Inzwischen begann auch der Flüchtlingstrek aus Nordirak zur türkischen Grenze. Im letzten Golfkrieg hatte die Türkei eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen; die Aussicht darauf, das diesmal auch noch ohne amerikanische Hilfe tun zu müssen, lässt viele US-Gegner schwach werden.
Die Türkei habe sich bis zuletzt gegen den Krieg gestemmt, erklärte das Präsidentenamt daher nach dem Dringlichkeitstreffen der Staatsspitze, doch nun seien die Chancen auf eine friedliche Lösung offenbar erschöpft. Vor diese von ihr unerwünschte Situation gestellt, müsse die Türkei ihre nationalen Interessen wahren und schnellstmöglich entsprechend handeln; darüber seien sich die Teilnehmer einig gewesen. Auf einer Sondersitzung sollte das türkische Kabinett schon am Dienstagabend den neuen Beschluss zur US-Stationierung und zur Entsendung eigener Truppen absegnen, um ihn gleich anschließend ins Parlament einzubringen; die Abstimmung in der Volksvertretung soll am Mittwoch oder spätestens Donnerstag stattfinden.
Ein erneutes Nein der Volksvertreter ist unwahrscheinlich. Anders als beim ersten Anlauf wird der Stationierungsbeschluss diesmal auch von Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer unterstützt, der bis zuletzt auf einen neuen Beschluss des UN-Sicherheitsrates warten wollte und nach dem Scheitern dieser Bemühungen nun auf die Regierungslinie einschwenkte. Auch der Generalstab steht diesmal hinter dem Beschluss, dem er beim ersten Anlauf die öffentliche Unterstützung verweigert hatte, um der ungeliebten Regierung das Leben zu erschweren. Selbst die Opposition will zähneknirschend mitmachen und anders als bei der ersten Abstimmung auf einen Fraktionszwang zum Nein verzichten.