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Erdogans treuester Gefolgsmann

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Ahmet Davutoglu wird neuer Premier. Das Interesse der Bevölkerung ist gering.


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Ankara. Selten wohl hat die Auswahl eines neuen Ministerpräsidenten die Menschen in der Türkei kälter gelassen - es ist Urlaubszeit und für die meisten Türken steht ohnehin fest, dass der Noch-Regierungschef und neue Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auch in Zukunft die Politik bestimmen wird. Aus diesem Blickwinkel ist es keine Überraschung, dass die mit absoluter Mehrheit regierende AKP am Donnerstag Ahmet Davutoglu für das Amt des Ministerpräsidenten und als künftigen Parteichef nominiert hat.

Die formelle Bestätigung durch den Konvent der islamisch-konservativen Regierungspartei am 27. August ist reine Formsache.

Viele türkische Zeitungskolumnisten halten Außenminister Ahmet Davutoglu freilich für eine "Marionette" des übermächtig erscheinenden Erdogan. Letzterer hatte bereits vor seiner Wahl gesagt, dass er als erster direkt vom Volk bestimmter Präsident die Verfassung bis zum Äußersten ausreizen werde, um die Kontrolle über die Regierung zu behalten.

Erdogan bricht Brücken zu altem Weggefährten ab

Der scheidende Präsident Abdullah Gül, lange als möglicher Kandidat für einen Ämtertausch nach putinscher Art im Gespräch, war von Erdogan in den vergangenen Wochen sukzessive ins politische Abseits manövriert worden. Nachdem Erdogan erklärt hatte, es sei besser, wenn Gül sich aus der aktiven Politik zurückziehe, kam es zu einem öffentlichen Bruch zwischen den beiden AKP-Gründern und langjährigen politischen Weggefährten. Gül beharrte auf seinem Recht, in die Partei zurückzukehren, woraufhin Erdogan den Termin für die parteiinterne Wahl des neuen Ministerpräsidenten und AKP-Chefs auf einen Tag vor Güls Abschied als Staatspräsident festsetzte.

Es wirkt daher wie  ein vergiftetes Lob, dass Gül sich bei seinem Abschiedsempfang im Präsidentenpalast Davutoglu nachdrücklich lobte. Er selbst sei es schließlich gewesen, der den früheren Rechtsprofessor in die Politik geholt habe, sagte Gül. In Wahrheit ist Ahmet Davutoglu eigentlich kein Kandidat, der sich für die Regierungs- und Parteispitze aufdrängt, wenn man ihn an seinen politischen Erfolgen misst.

Außenminister hat wenige Erfolge vorzuweisen

Er ist ein Quereinsteiger, den Erdogan 2003 als außenpolitischen Berater verpflichtete. Der fromme Politikprofessor aus dem zentralanatolischen Konya, der in seiner Schulzeit in Istanbul Deutsch lernte und hervorragend Englisch spricht, strahlt wenig Charisma aus, wird aber mit dem möglichen Aufstieg für seine unbedingte Loyalität zu Erdogan belohnt.

Als Erdogan den Berater 2009 zum Außenminister machte, passten Davutoglus außenpolitische Visionen gut zu seinem Anspruch, die Türkei von einem passiven Beobachter zum aktiven Spieler in der Regionalpolitik zu machen. "Null Probleme mit den Nachbarn" lautete Davutoglus Devise, die er in seinem Buch "Strategische Tiefe" darlegte. Mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen "Soft Power" wollte er die Türkei zur beherrschenden Regionalmacht des Nahen Ostens ausbauen - ein Ansatz, den Gegner als "Neo-Osmanismus" kritisierten oder sogar als "Pan-Islamismus" mit dem Ziel einer sunnitisch-muslimischen, von der Türkei beherrschten Hegemoniesphäre im Nahen Osten und Zentralasien. Diese Politik ist gescheitert, Kritiker sprechen von einer Türkei, die seit Davutoglus Amtsantritt Probleme mit fast allen Nachbarn bekommen habe.

Auch anfängliche außenpolitische Erfolge verkehrte Davutoglu mit einer oft sprunghaft wirkenden Politik in ihr Gegenteil. Die enge Freundschaft mit dem syrischen Diktator Bashar al-Assad wurde zu offener Feindschaft, als Davutoglu und Erdogan 2011 beschlossen, den Aufstand gegen Damaskus zu unterstützen; als Folge wurde die Türkei mit 1,3 Millionen Flüchtlingen und dem mörderischen IS-Kalifat an seiner Südostgrenze konfrontiert.

Das Verhältnis zu Bagdad ist wegen der separaten Öllieferungen aus dem kurdischen Nordirak auf einem Tiefpunkt angelangt, zu Kairo und Riad wegen der ideologielastigen Unterstützung der ägyptischen Muslimbrüder, und eine Lösung des Zypernproblems liegt noch immer in weiter Ferne. Die Beziehungen zur EU und zu den USA sind ebenfalls gespannt. Davutoglus größter politischer Erfolg bleibt die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union 2005 - doch bislang ohne ein absehbares Ende.

Experten halten Davutoglu für einen Platzhalter

Politische Beobachter in der Türkei glauben, dass es Erdogan vor allem darum geht, mit Davutoglu als Übergangspremier die Zeit bis zu den Parlamentswahlen im Juni 2015 überbrücken. Mit der nötigen Mehrheit für die AKP möchte er dann erklärtermaßen die Verfassung ändern und ein Präsidialsystem einführen. Als Parteichef und Ministerpräsident müsste Davutoglu vor allem die AKP zusammenhalten, in der Regierung Erdogans Direktiven umsetzen und den Wahlkampf organisieren. Kann das funktionieren?

Schon einmal hatte ein türkischer Ministerpräsident, der sich zum Staatspräsidenten wählen ließ, mit einem schwachen Premier das Ruder in der Hand zu behalten versucht. Doch Turgut Özal, ein Machtmensch und Populist wie Erdogan, scheiterte damit Anfang der 90er Jahre an der eigenen Partei, weil diese sich nicht von außen die Politik diktieren lassen wollte.