Die burgenländische Gemeinde Güssing verzichtet auf fossile Energieträger. Strom, Wärme und in baldiger Zukunft auch Treibstoffe werden hier rein aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Ein fettes Plus nicht nur in der CO2-Bilanz.
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Fantasten, Weltfremde, Ökospinner. Es ist keine zwanzig Jahre her, dass Menschen, die von nachhaltigen Energieressourcen sprachen, mit scheelen Blicken bedacht wurden. Mühsam mit Holzscheiten einheizen anstatt bequem den Ölofen anzustellen? Für viel Geld Sonnenkollektoren am Dach installieren lassen, die sich wenn überhaupt erst in dreißig Jahren rentieren? Fossile Brennstoffe wie Öl waren damals billig, es war noch lange keine allgemeine Rede von CO2-Emissionen und der damit verbundenen Klimaerwärmung und so auch das Interesse am Thema Energie gleich null. Zwar wurden damals schon Stimmen laut, dass sich der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energieträger wie Holz, Sonne oder Wind durchaus rechne - doch die Wissenschaftler, die ernsthaft jene Rahmenbedingungen, wie sie heute herrschen (hohe Rohölpreise, Lieferengpässe, das Bewusstsein um das Ausmaß der CO2-Problematik), prophezeiten, fanden kein Gehör bei der breiten Masse. Niemand hätte sich anno 1991 jemals vorstellen können, einmal mehr als zwanzig Schilling für einen Liter Benzin ausgeben zu müssen ...
Vor diesem Hintergrund ist die (politische) Leistung von Peter Vadasz nicht hoch genug einzuschätzen: Der frisch gewählte Bürgermeister von Güssing hatte gemeinsam mit dem Techniker Ing. Reinhard Koch eine zu dieser Zeit äußerst kühne Vision. Sie wollten schlicht und einfach von fossilen Energieträgern auf heimische Ressourcen umsteigen. Erstens erwarteten sie sich damit eine Steigerung der regionalen Wertschöpfung, zweitens die Reduzierung der Abhängigkeit von der Weltpolitik und drittens einen wirtschaftlichen Aufaschwung. Dass sie überhaupt so umfassend darüber nachdachten, was aus ihrer Region werden könnte, lag am bevorstehenden EU-Beitritt und den damit in Aussicht gestellten beachtlichen Fördergeldern. Warum sie ausgerechnet auf erneuerbare Energien setzen wollten, lag für Vadasz und Koch auf der Hand: Der Großteil der privaten Haushalte in der Region wurde mit Öl oder Kohle beheizt und es gab kein Gas- oder Fernwärmenetz. Viel Geld floss also in die Bezahlung der fossilen Brennträger, während regionale Biomasse, also Rohstoffe wie Durchforstungsholz, Grasschnitt oder Maissilage, als Ressourcen noch nicht einmal erkannt wurden. Würde man diese anstelle von Erdölprodukten nützen, bliebe das Geld in Zukunft in der Region. Außerdem waren sich Vadasz und Koch sicher, mit dem neuen, nachhaltigen Energiekonzept die Wirtschaft, die damals quasi tot war, wieder auf die Beine bringen zu können.
Diese Rechnung ist voll und ganz aufgegangen. Heute erzeugt Güssing seinen Energiebedarf an Wärme und Strom selbst - rechnet man den öffentlichen und privaten Verbrauch. Zieht man den Sektor Industrie und Gewerbe hinzu, kommt man immerhin noch auf satte 71 Prozent Eigendeckung. Der Strom, der in zwei Biomasse-Kraftwerken und mit einer sonnengespeisten Photovoltaikanlage erzeugt wird, wird ins öffentliche Netz zum geförderten Ökostrom-Tarif eingespeist. Im Jahresschnitt entspricht die eingespeiste Menge in etwa dem Verbrauch der Güssinger.
Die Wärme kommt den Güssingern über zwei Biomasse-Fernheizwerke sowie über die Abwärme aus den beiden Kraftwerken direkt zugute, gut die Hälfte aller Haushalte sind ans Fernwärmenetz angeschlossen sowie sämtliche kommunalen Einrichtungen und ein Großteil von Industrie und Gewerbe. Beim momentanen Stand der Rohölpreise ersparen sich die Verbraucher damit rund ein Viertel an Heizkosten im Jahr.
Diese günstige und preisstabile Wärmeversorgung hat, wie prognostiziert, viele Betriebe angelockt: Fünfzig neue Werke haben sich in den letzten zehn Jahren in Güssing angesiedelt. Das führt mitunter zu beachtlichen Synergien: Die beiden neuen Parkettwerke beispielsweise haben einen hohen Wärmebedarf für ihre Holztrocknung. Dieser wird durch die Fernwärme gedeckt. Im Gegenzug wird das Fernwärmewerk mit Abfall (Holz, Späne, Schleifstaub) aus den Werken versorgt.
Laut Statistik Austria sind seit dem massiven Einstieg in erneuerbare Energien 1100 neue Arbeitsplätze entstanden, in einer Region, die jahrzehntelang zu den ärmsten Österreichs zählte. Was sich auch eindrucksvoll in der Verdreifachung der Einnahmen aus der Kommunalsteuer von 1990 bis 2006 niederschlägt. Logischerweise leistet Güssing damit auch einen wertvollen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen.
Neben dem Abfallholz aus den Werken kommt aber auch Durchforstungsholz aus der Umgebung als Biomasse zum Einsatz. Davon profitieren die Besitzer von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die mit ihren Rohstoffen die nachhaltige Energieerzeugung absichern - und das Geld, das hier für Energie ausgegeben wird, bleibt nun tatsächlich in der Region.
Man sieht in Güssing, dass es tatsächlich funktionieren kann, fossile Energieträger durch erneuerbare Rohstoffe zu ersetzen. Das spornt natürlich die Einheimischen an, selbst Sonnenkollektoren auf ihren Dächern zu installieren oder auf Erdwärmepumpen zu setzen. Aber auch Firmen beginnen zu begreifen, dass ökologisches Denken durchaus ökonomisch sein kann. So betreibt etwa die Nudel-Firma Wolf seit vorigem Jahr in Güssing einen eigenen Kreislauf: Die Eier für die Nudelproduktion werden auf der firmeneigenen Hühnerfarm gelegt, die angeschlossene Landwirtschaft liefert das Futter für die Hühner. Der anfallende Stallmist wird in einer Anlage zu Biogas vergärt, wo über einen Generator jener Strom erzeugt wird, der in der Nudelproduktion verbraucht wird. Die Ab- und Kühlwärme des Motors wird zudem für die Trocknung der Nudeln verwendet. Das Gärendprodukt dieser Biogasanlage wird schlussendlich als natürlicher Dünger wieder auf die Felder ausgebracht, wo das Hühnerfutter wächst.
Auf dem Erreichten will man sich hier aber nicht ausruhen und hegt große Zukunftspläne. "Langfristig gesehen ist unser Ziel eine hundertprozentige Deckung des Energiebedarfs in unserer Region aus erneuerbaren Energieträgern. Und zwar für die Bereiche Wärme, Strom und Mobilität", sagt dazu Joachim Hacker, Geschäftsführer des "Europäischen Zentrums für Erneuerbare Energie" (EEE - www.eee-info.net). Eine der Aufgaben dieser mittlerweile europaweit anerkannten Institution, die 1996 als Verein gegründet wurde, ist es, Konzepte zur Abkehr von fossilen Energieträgern in Zusammenarbeit mit Kommunen, Forschern und Wirtschaft zu erarbeiten - denn je nach verfügbaren Ressourcen liegt der Fokus einmal bei Biomasse, dann wieder bei Wind oder Sonne oder vielleicht sogar bei der Nutzung von Tiefenwärme.
Eine weitere Aufgabe von EEE ist es, neue Technologien zu entwickeln. Stolz verweist Hacker auf das Biomasse-Kraftwerk, das mit Waldhackgut betrieben wird: "Mittels einer speziellen, von der TU-Wien entwickelten Holzvergasungstechnologie konnte eine enorme Effizienzsteigerung erreicht werden. Bei der bis dato üblichen Holzverbrennung sprechen wir von einem elektrischen Wirkungsgrad von maximal 16 Prozent - mit unserem neuen Verfahren kommen wir auf ganze 28 Prozent. Außerdem können wir mit dieser Technologie gleichzeitig vortrefflich Wärme generieren, sodass wir in Summe von einem Gesamtwirkungsgrad von bis zu 85 Prozent sprechen - das ist wirklich sensationell!"
Das ist aber noch immer nicht alles, denn die besonderen Eigenschaften des dort erzeugten Produktgases ermöglichen weitere Verfahren zur Erzeugung von synthetischem Erdgas (BioSNG) sowie zur Erzeugung von synthetischen Flüssigtreibstoffen wie Benzin oder Diesel (BTL - biomass to liquid). In unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk steht bereits eine Methanierungsanlage, wo derzeit emsig geforscht wird. Man ist guter Dinge, dass die Technologie in wenigen Jahren soweit ausgereift ist, dass genug Sprit erzeugt werden kann, um die Autos in der Region Güssing damit zu betreiben. An Rohstoffen mangelt es nicht, denn zurzeit werden nur etwa 40-50 Prozent des jährlichen Holzzuwachses genutzt. Diese Entwicklung ist insofern extrem spannend und richtungsweisend, als hier nicht gängige Biotreibstoffe erzeugt werden, die in direkter Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehen - sondern dass es sich um sogenannte Treibstoffe der zweiten Generation handelt, die ansonsten als ungenützter Abfall verkommen, wie Grasschnitt, Stroh oder eben Hackschnitzel aus der Walddurchforstung. Zudem lassen sich diese neuen Biotreibstoffe gut an die Motoren anpassen, jedes herkömmliche Auto lässt sich damit problemlos betanken.
Eine weitere Forschungsanlage wird sich in Bälde der thermischen Vergasung von Reststoffen wie Stroh, Schilf oder Klärschlamm widmen. Bereits im Einsatz sind kommunale Biogasanlagen, wie jene in der Gemeinde Strem, die mit Gras, Mais, Klee oder Grünschnitt betrieben wird: Im Zuge der Vergärung dieser Ausgangsstoffe lassen sich Strom und Wärme gewinnen. Weiters lässt sich daraus auch Gas für den Einsatz in Erdgasautos aufbereiten. Biogasanlagen lassen sich gut im Kleinen betreiben, etwa wie bei der Firma Wolf im Rahmen einer Landwirtschaft, und so ist das Ziel von Hacker und seinem Team der Aufbau eines lokalen Biogasnetzwerkes, das erstens Wärme auch in jene Haushalte bringt, die zu weit von den Fernwärmewerken entfernt liegen, und zweitens ein ebenfalls aufzubauendes Tankstellennetz mit BioSNG beliefert.
Überhaupt ist die Ausweitung der Energieautonomie auf die Region Güssing, die unter dem Namen "ökoEnergieland" derzeit 16 Gemeinden umfasst, ein wichtiges Thema. Zusätzlich zu den oben erwähnten Biogasanlagen und den bereits bestehenden rund dreißig kleineren Biomasse-Heizwerken, die sich mit Holz aus der unmittelbaren Umgebung selbst versorgen und die wiederum ihren unmittelbaren Anrainern Heizwärme liefern, ist der Bau von Hauskraftwerken angedacht. Photovoltaik, Solarzellen und Kleinwind-anlagen sollen in diesem kleinsten Rahmen Wärme und Strom erzeugen. Richtungsweisend an dieser Initiative ist, dass der Strom in Batterien gespeichert werden kann - um bei Bedarf, Stichwort: Spitzenstrom, rentabel ins öffentliche Netz gespeist zu werden.