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Erdöl statt der Bruderküsse

Von Stefan Voß

Politik

Minsk/Moskau - Zöge man eine Linie vom Ural bis zur Atlantikküste, Weißrussland läge in der Mitte Europas. Doch dessen autoritärer Präsident Alexander Lukaschenko ist das einsamste Staatsoberhaupt auf dem Kontinent. Der Westen hat sich schon vor Jahren von dem Sowjet-Nostalgiker abgewendet. Nun zeigt ihm auch der große Bruder Russland zunehmend die kalte Schulter. Lukaschenko scheint das wenig zu kümmern. Sein Machtapparat ist damit beschäftigt, die letzten oppositionellen Führer aus dem Verkehr zu ziehen.


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Im Juli traf es Lukaschenkos früheren Regierungschef Michail Tschigir. In einem von westlichen Diplomaten angezweifelten Justizverfahren wurde der Oppositionelle wegen Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt. Über Jahre hatte die Justiz das "politisch angeordnete Strafverfahren", so Tschigir, in die Länge gezogen.

"Wer bei den Verhandlungen zwei oder drei Mal dabei war, wusste gleich, dass gegen mich nichts vorlag", sagte der Oppositionelle am Tag der Urteilsverkündung. Auch Tschigirs Sohn wurde wegen Autohehlerei zu einer Haftstrafe verurteilt. Bis heute ungeklärt ist das Verschwinden mehrerer ehemaliger Minister. Nach Ansicht der Opposition spricht vieles dafür, dass eine "Todesschwadron" aus Lukaschenkos Spezialeinheiten die politischen Gegner ermordet hat.

Früher konnte sich Lukaschenko bei seinen verbalen Ausfällen gegen die USA oder die NATO auf den großen Bruder im Osten stützen. Doch seit Wladimir Putin in Moskau das Ruder in der Hand hält, steht das Weltbild Lukaschenkos Kopf. Russland steht den Amerikanern seit dem 11. September 2001 zur Seite, lässt sich in die NATO einbinden und spricht vom Primat der Wirtschaft in der Außenpolitik. Die für 2005 angestrebte Währungsunion zwischen Minsk und Moskau rückt in weite Ferne.

Weißrussland wolle keinesfalls "das 90. Teilgebiet der Russischen Föderation" werden, sondern fordere Gleichberechtigung in der vereinbarten Union, polterte Lukaschenko nach dem jüngsten Treffen mit Putin im Juni. Der hatte Lukaschenko vorgeworfen, er wolle "um jeden Preis die Sowjetunion wieder herstellen". Immerhin liefert Russland weiterhin Erdöl und Erdgas zu verbilligten Preisen.

"Lukaschenko als Partner bremst den Prozess der Einbindung Russlands in ein einheitliches Europa", meint Oppositionspolitiker Nikolaj Statkjewitsch in Minsk. Moskau sei pragmatischer geworden und tausche "sein Erdöl nicht mehr gegen Bruderküsse".

Die finanzstarke russische Wirtschaft zeigt durchaus Interesse an der weißrussischen Telekommunikation, dem Energiesektor oder der Lebensmittelindustrie. Lukaschenko gilt dabei zunehmend als Hindernis. Der frühere Sowchosen-Direktor verteile Staatsbetriebe nach Gutdünken an Gefolgsleute, heißt es in Moskau.

Die Kommandowirtschaft dominiert bis heute das Leben der zehn Millionen Weißrussen. Die anhaltend schlechte Wirtschaftslage lässt eine latente Unzufriedenheit spüren. Mitte Juli vollzog Lukaschenko die Gleichschaltung der mächtigen Gewerkschaften. Ein enger Vertrauter, Leonid Kosik, soll die Organisation auf Linie bringen.

Vom Europarat und der EU kann Lukaschenko kaum noch Hilfe erwarten. Einmalig in Europa ist die Art und Weise, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aus Minsk vergrault wurde. Der um einen politischen Dialog im Land bemühte Missionsleiter Hans-Georg Wieck musste sich von Lukaschenko anhören, er bilde heimlich eine Armee aus Widerstandskämpfern aus. Mittlerweile haben alle OSZE-Diplomaten das Land verlassen. Lukaschenko zeigt kein ernsthaftes Interesse, an diesem Zustand etwas zu ändern.