Historisches Debakel für Sozialisten. | Niedrige Wahlbeteiligung begünstigte rechte Kräfte. | Budapest. In den nächsten vier Jahren wird der rechtskonservative Fidesz mit Viktor Orban an der Spitze Ungarn nicht nur regieren, sondern kann auch im Alleingang Verfassungsänderungen durchsetzen. Nach Auszählung von fast 98 Prozent aller Stimmen kommt Fidesz nach dem gestrigen zweiten Wahlgang im neuen Parlament auf 263 Mandate von insgesamt 386 Sitzen, das sind 68,1 Prozent aller Stimmen. 258 Mandate waren für eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Fidesz sicherte sich 54 der 57 Direktmandate, über die im zweiten Wahlgang noch entschieden wurde.
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Als zweitstärkste Partei im neuen Parlament erreichte die sozialistische MSZP, die den bisherigen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai stützte, gerade einmal 15,3 Prozent, was 59 Abgeordneten entspricht. Die einstige Regierungspartei, die im ersten Wahlgang noch auf 19,3 Prozent gekommen war, erlebte damit ein historisches Debakel, wenngleich sie sich noch zwei Direktmandate sichern konnte.
Der rechtsradikale Jobbik bekam 47 Sitze, das entspricht 12,2 Prozent der Stimmen. Die Ökopartei LMP hat künftig 16 Sitze, und ein Direktmandat ging an einen Jobbik nahe stehenden unabhängigen Kandidaten. Politologen führten den Erdrutschsieg des Fidesz vor allem auf den Umstand zurück, dass nicht einmal die Hälfte aller Wahlberechtigten den Weg an die Urnen fand.
Orban bedeckt zuVerfassungsänderung
Die frühere Parlamentspräsidentin Katalin Szili rief zu einem Neuanfang für die ungarische Linke auf. MSZP-Vorsitzende Ildiko Lendvai hatte schon vor dem zweiten Wahlgang ihren Rücktritt erklärt. Die Mitglieder des MSZP-Vorstands werden ihre Ämter bei einem Sonderparteitag zur Verfügung stellen, hieß es aus der Parteizentrale. Es droht nun ein parteiinterner Machtkampf.
Viktor Orban, der Ungarn zwischen 1998 und 2002 schon einmal regierte, hielt sich bis zuletzt bedeckt, was die Inhalte möglicher Verfassungsänderungen angeht. Allerdings lassen sich viele Vorhaben des Fidesz aus dem ersten Kommentar zum ungarischen Verfassungsrecht überhaupt ableiten, der im November unter Ägide des konservativen Präsidenten Laszlo Solyom erschien. So dürfte es künftig bei Parlamentswahlen nur noch eine Runde geben, bei der Listen- und Mehrheitswahlrecht kombiniert sind. Es gehe nicht an, dass der Wahlsieger, wie bisher, erst nach zwei Wochen feststehe, heißt es aus Fidesz-nahen Kreisen.
Fidesz will außerdem eine doppelte Staatsbürgerschaft für Angehörige ungarischsprachiger Minderheiten außerhalb Ungarns ermöglichen. Eine weitere Verfassungsänderung könnte die Selbstverwaltungen betreffen, deren Rechte zu Gunsten der Zentralregierung beschnitten werden dürften. Ohne eine drastische Kürzung der Ausgaben der Kommunen kann Ungarn wirtschaftlich nicht wieder auf Kurs kommen. Derartige Einschnitte können aber bisher nicht ohne die Selbstverwaltungen beschlossen werden.
Orban, der sein Kabinett erst nach dem 20. Mai vorstellen will, will zudem den Regierungsapparat deutlich straffen. Laut Medienspekulationen regiert er künftig mit acht Ministern. Das Kabinett um Premier Gordon Bajnai hatte 15 Minister.