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Ererbt oder erlernt?

Von Heiner Boberski

Wissen
Jungvögel der Fahlstirnschwalbe (Petrochelidon pyrrhonota) dienten als Forschungsobjekte.
© wikimedia

Bisherige Resultate sind laut Wiener Evolutionsbiologen statistisch fragwürdig.


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Wien. Beruht das Verhalten von Tieren vorwiegend auf ihren Genen oder auf der Umgebung, in der sie aufgewachsen sind? Zu dieser auch im Hinblick auf den Menschen spannenden Frage der Evolutionsbiologie schien eine im Jahr 2000 im Fachjournal "Pnas" veröffentlichte Studie zu klären, dass es an den Genen liegt. Nun weist ein internationales Team, dem Experten der Veterinärmedizinischen Universität Wien, aus Frankreich und aus Bulgarien angehören, im Journal "Scientific Reports" darauf hin, dass man damals bei der Interpretation der Daten in zwei statistische Fallen getappt ist.

Die im Jahr 2000 publizierten Erkenntnisse des Forscherpaars Charles und Mary Brown deuteten darauf hin, dass es genetisch bedingt ist, ob Vögel eher in kleinen oder größeren Kolonien brüten. Ihre Studie beruhte auf einem Experiment mit Fahlstirnschwalben, die von Natur aus in unterschiedlich großen Gruppen leben. Beide Lebensformen bringen Vor- und Nachteile mit sich. In größeren Kolonien ist das Nahrungsangebot reicher, dafür kommt es leichter zu aggressiven Konflikten untereinander, aber auch eher zur Übertragung von Krankheiten. Kleinere Kolonien haben weniger Probleme mit Parasiten, aber dafür mit der Beschaffung von Nahrung.

"Regression zur Mitte"

Die Browns tauschten frisch geschlüpfte Küken aus kleinen Kolonien mit Küken aus großen Kolonien und ließen die insgesamt 2000 Jungvögel bei jeweils fremden Eltern aufwachsen. Als die umgesiedelten Vögel später selbst Nester bauten, zeigte sich, dass sie als Lebensform eher die Gruppe, in der sie geboren worden waren, bevorzugten. Schwalben, die in großen Gruppen zur Welt gekommen und in kleinen Gruppen aufgewachsen waren, lebten lieber in großen Gruppen zusammen. Tiere, die aus kleinen Gruppen stammten und in großen Gruppen heranwuchsen, bevorzugten ein Leben in Kleingruppen.

Dass ein Gen, das die Wahl der Gruppengröße bestimmt, evolutionär von Vorteil sein soll, erscheint den Autoren der neuen Studie fragwürdig. Der Verhaltensforscher Richard Wagner vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung und Erstautor Étienne Danchin von der Universität Toulouse vermuten, die Brown-Resultate könnten durch den verwendeten methodischen Ansatz verfälscht worden sein. Mit Eric Wajnberg, einem Populationsgenetiker in Sofia, berechneten sie die Originaldaten aus dem Experiment der Browns neu und entdeckten, dass die Resultate auch per Zufall hätten entstehen können.

Das Problem wird auf ein statistisches Phänomen, das als "Regression zur Mitte" bekannt ist, zurückgeführt, einen Effekt, nachdem auf außergewöhnlich hohe oder niedrige Messergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit "normalere" Werte folgen. Die Ergebnisse des Experiments wären also auch ohne Bezug zu genetischen Faktoren entstanden.

Ein weiterer Einwand von Wagner und Danchin bezieht sich auf eine Erkenntnis des Forschers Arie van Noordwijk von 1984, wonach Individuen, die nicht die gleichen Wahlmöglichkeiten bezüglich der Orte haben, die sie aufsuchen können, auch nicht miteinander verglichen werden können. In der Brown-Studie hatten die miteinander verglichenen Vogelgruppen nicht dieselben Möglichkeiten.

Die Studie regt an, die Interpretation von Daten zur Rolle der Genetik in der Verhaltensbiologie zu überdenken. "Uns überraschte, dass genau jenes experimentelle Design, das häufig in diesem Zusammenhang verwendet wird, den Trugschluss der ,Regression zur Mitte‘ erzeugt. Selbst die am sorgfältigsten gestalteten Studien können unter diesem Problem leiden. Die Ergebnisse werden so bedeutungslos", warnt Wagner.

Aus Sicht der Forscher gibt es eine Lösung: Werden Gruppen miteinander verglichen, die dieselben Wahlmöglichkeiten haben (bei den Schwalben müssten alle Küken von einer in eine andere Kolonie übersiedelt werden), so sind die Forschenden mit ihrer Interpretation auf der sicheren Seite.