Die Schwäche der ÖVP mit Anton Mattle heizt Koalitionsspekulationen an.
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Spitzenkandidat zu sein, ist dann doch eine andere Liga. Anton Mattle, rechtschaffener langgedienter Bürgermeister aus Galtür im hinteren Paznauntal in Tirol und seit einem Jahr Wirtschaftslandesrat, ist seit Juni das Gesicht der ÖVP nach außen. Da ist er durch die Überrumplungsaktion des scheidenden Landeshauptmannes Günther Platter als neuer Tiroler ÖVP-Chef inthronisiert worden für die auf Sonntag vorgezogene Landtagswahl.
Sein Konterfei mit dem Schriftzug "Geradeaus" prangt auf dem Tourbus. Geradeaus ging es in Umfragen für die ÖVP freilich bergab bis auf ein Plateau von rund einem Viertel der Wählerstimmen. Wie stark das Vertrauen nach 44 Prozent bei der Landtagswahl 2018 gesunken ist, ließ sich nicht mehr wegreden. Die Volkspartei bläst seither zur "Aufholjagd".
Bei dem ins Finale gehenden Wahlkampf zeigt sich der knorrige ÖVP-Spitzenkandidat zwar überzeugt, mehr als 30 Prozent zu schaffen. Das wäre aber unter dem bisher schlechtesten ÖVP-Ergebnis bei der Wahl 2008 mit 39 Prozent. Mit dem Fast-Neuling in der Landesregierung das - vor allem in der Corona-Zeit - verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen, war ÖVP-Kalkül. Mattle ortet nun zwar bei seiner Wahltour Vertrauen. Aber dafür, dass der 59-Jährige, der wie sein Konkurrent vom grünen Koalitionspartner Gebi Mair bei der Bergrettung ist, die ÖVP vor dem Absturz rettet, reicht es laut Umfragen nicht.
Wien als willkommene Reibefläche
Dabei wurde Mitte August ein Hilfspaket für den Arbeitsmarkt geschnürt, später 40 Millionen Euro als Sonderdividende des Energieversorgers Tiwag zur Abfederung der Teuerung ausgeschüttet. Da traf es sich gut, dass Mattle Aufsichtsratschef ist.
Ganz in der Tradition anderer Landespolitiker packte er auch den Säbel gegen das Rote Wien aus. Anlass war die Zwei-Milliarden-Hilfe des Bundes für die stadteigene Wien Energie, die in Finanzprobleme geschlittert war. "Klar muss sein, dass nicht jene Bundesländer, deren Energieversorger umsichtig gewirtschaftet haben, für die Schwierigkeiten der Energieversorger im Osten aufkommen müssen", drechselte Mattle. Die Milliardenhilfe floss dennoch, bei der Strompreisbremse des Bundes sollen aber auch die Tiroler profitieren. Selbst vor der Bundespartei wurde nicht Halt gemacht. Ein 500-Euro-Klimabonus für Asylwerber sei ein "fatales Signal", tönte es aus der Tiroler Partei. Diese stellte sich damit hinter die Linie der damaligen ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner, während die Bundes-ÖVP mit Obmann Bundeskanzler Karl Nehammer zu der mit den Grünen beschlossenen Regelung stand.
Anders als etwa der neue steirische ÖVP-Landeschef Christopher Drexler ist der Tiroler Frontmann kein großer Redner. Am meisten überraschte Mattle, als er in das Wahlprogramm einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes schreiben ließ. Auch das war abseits der ablehnenden Linie der Bundespartei.
Dennoch sah sich der ÖVP-Spitzenkandidat stets in der Defensive. Er war der Reibepunkt für alle, auch für den grünen Koalitionspartner. Sei es wegen der Zunahme der durch Tirol brausenden Lkw, wegen fehlender Windräder oder wegen des Eindrucks, die Seilbahnlobby fährt mitunter mit der Landespartei Schlitten. Dass er recht kurzfristig ein Interview im Zuge der Serie der Tiroler Spitzenkandidaten im ORF-Radio absagte, war auch kein Signal, dass hier ein selbstbewusster Spitzenkandidat am Werk ist. Aufgeben will Mattle selbst bei einem tiefen ÖVP-Sturz am Sonntag keineswegs. "Auch in schwierigen Zeiten übernimmt der Toni Mattle die Verantwortung", sagte er zuletzt in der ORF-TV-Konfrontation der Spitzenkandidaten.
Ungewissheit, ob sich eine Zweier-Koalition ausgeht
Das drohende starke Schrumpfen der ÖVP bei der Landtagswahl ist zugleich Grund, dass die Frage der künftigen Koalition nach acht Jahren Schwarz-Grün in Tirol das meiste Rätselraten ausgelöst hat. Der persönlich allseits geachtete Mattle muss sogar mitanhören, dass ihm politische Konkurrenten prophezeien, nach einem ÖVP-Wahldebakel am Sonntag würden andere das Heft in Innsbruck in die Hand nehmen.
Auch wenn am Sonntag allseits eine politische "Zäsur" in Tirol erwartet wird, ist es unwahrscheinlich, dass der nächste Landeshauptmann nicht aus der ÖVP kommt. Weil sich dafür kaum eine Mehrheit finden wird. Während der Wahlverlierer feststeht, wird sich erst am Sonntag entscheiden, ob eine zweite Partei mit der ÖVP über eine Mehrheit im Landtag verfügen wird.