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Erfan, afghanische Ermittlerin in Berlin

Von Alexander U. Mathé Alexander U. Mathé

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Ein Jahr nach der Kunduz-Affäre ist ein deutscher Untersuchungsausschuss mit dem Drama mit mehr als 100 Toten befasst. Nun sagte die erste Afghanin aus.


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Wenn es um Recht und Gerechtigkeit geht, ist Habibe Erfan bereit, alles zu geben. Die Afghanin ist politisch aktiv, obwohl die radikal-islamischen Taliban Frauen am liebsten in Säcke gehüllt zu Hause sitzen haben. Bei Ungehorsam reichen die Strafen vom Abtrennen von Gliedmaßen bis zur Steinigung.

Mutig wurde Erfan Provinzrätin von Kunduz und Kandidatin für das Parlament. Seither hagelt es Morddrohungen gegen sie. Ihren Bruder haben die Taliban bereits umgebracht. Doch die 43-jährige Mutter von sieben Kindern kämpft weiter; in ihrem Land gibt es so viel zu tun. Trotzdem ist Habibe Erfan zurzeit in Deutschland, um Gerechtigkeit zu fordern.

Am Donnerstag hat sie vor dem Kunduz-Untersuchungsausschuss des Bundestages in Berlin ausgesagt. Damit war sie die erste Zeugin aus Afghanistan. Bis heute ist nicht offiziell geklärt, wie viele Menschen bei dem tragischen Angriff unter deutscher Führung tatsächlich ums Leben gekommen sind und vor allem, wie viele davon Zivilisten waren.

Anfang September 2009 stahlen Taliban zwei Tanklaster der Nato unter Ermordung eines der Fahrer. Beim Versuch den Fluss Kunduz zu überqueren, blieben sie stecken. Um der Situation etwas Positives abzugewinnen, verkündeten sie in der Umgebung, dass sie gratis Benzin ausschenken, was viele Menschen anlockte. Da hatten die deutschen Truppen hatten allerdings bereits Befehl gegeben, die Taliban zu bombardieren.

Während in Europa über einen erfolgreichen Schlag gegen die Aufständischen mit "Kollateralschaden" berichtet wurde, machte sich Erfan vor Ort ein Bild. Sie sprach mit Familien und Angehörigen der Opfer aus den umliegenden Dörfern. Sie sprach mit Dorfältesten und Lehrern. Sie forschte bei den Leichen nach. Sie sammelte Dokumente und Ausweise, die die Identität der Opfer klären. Einfach war das nicht. Denn als Frau führte sie die Ermittlungen unter ständiger Lebensgefahr, auch wenn sie sich dafür verschleierte und nur öffentliche Verkehrsmittel benutzte.

Schließlich ergaben ihre Ermittlungen, dass 113 Zivilisten bei dem Angriff getötet wurden, darunter 25 Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren. Um Zivilisten von Taliban unterscheiden zu können, griff sie auf durchaus einleuchtende Mittel zurück. So seien beispielsweise etwa 70 Opfer in Besitz eines Wählerausweises gewesen. Die Taliban boykottieren aber jegliche Wahl in Afghanistan und drohen Wählern mit dem Tod. Als Taliban konnte sie lediglich sechs der Menschen identifizieren, die bei dem Angriff getötet wurden.

Für die 113 zivilen Opfer fordert sie nun angemessene Entschädigung, die über die 3500 Euro pro betroffener Familie hinausgeht, die die Bundeswehr bisher geleistet hat. Allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, es handle sich nicht um Entschädigungen.