Wenn nach der Krise vor der Krise ist, dann ist der EU die nächste Krise gewiss: Deshalb braucht Europa mehr EU - und weniger EU.
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Eines kann man dem ÖVP-Politiker Othmar Karas, derzeit einer von nur 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlamentes, nicht wirklich vorwerfen: dem Volk opportunistisch aufs Maul zu schauen, um so wohlfeile Zustimmung an der Heimatfront einzuheimsen. Sonst hätte er nämlich nicht diese Woche vor dem EU-Parlament in Straßburg ohne Umschweife tapfer erklärt, die Gründung der "Vereinigten Staaten von Europa" für notwendig und deshalb erstrebenswert zu halten.
In Karas’ Heimat Österreich dürfte diese Forderung derzeit ungefähr so populär sein wie die ersatzlose Abschaffung des Weihnachts-und Urlaubsgeldes: Bürger der "Vereinigten Staaten von Europa" zu werden scheint den Österreichern derzeit nicht wirklich ein übermäßig dringliches Bedürfnis. Ganz im Gegenteil.
Trotzdem wird es, sobald die derzeitige Existenzkrise der EU einigermaßen überwunden ist, durchaus notwendig und nützlich sein, die von Karas angestoßene Debatte ernsthaft zu führen und dann die entsprechenden weitreichenden politischen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Denn eines ist in der Krise klar geworden: So, wie die EU heute verfasst ist, ist sie in keiner guten Verfassung. Als Transferunion wider Willen, deren oberstes Gremium das Krisentreffen ist und deren demokratische Legitimation sich weitgehend aus dem Prinzip der "Alternativenlosigkeit" schöpft; als nach außen schwache, nach innen hingegen oft als den Bürger bedrängend empfundene Macht; als permanente Zuchtmeisterin des Südens und Abkassiererin des Nordens - so wird dieser Union keine großartige Zukunft beschieden sein.
Vermutlich wird sich, auch wenn das heute noch nach politischer Science Fiction tönt, eine Art Neugründung der EU als "EU 2.0" auf mittlere Sicht deshalb nicht umgehen lassen.
Dabei wäre vernünftig, jenen zentralen Konstruktionsfehler der "EU 1.0" zu beseitigen, der teils aus historischen Gründen, teils aus nationalen Interessenlagen passiert ist: dass sich nämlich die EU einerseits um viel zu viele Agenden kümmert, die besser von den Nationalstaaten erledigt würden - und andererseits viel zu wenig Kompetenz in jenen Politikbereichen hat, in denen die Union tatsächlich Akteur sein sollte.
Die "EU 2.0" wäre daher sinnvollerweise etwa für die militärische Verteidigung der Union, für die Außen- und Außenwirtschaftspolitik oder für die Gewährleistung der Grundrechte ihrer Bürger verantwortlich - aber nicht für die Organisation der Landwirtschaft, die Beschaffenheit der Glühbirnen oder tausende andere Politikbereiche, die Nationalstaaten wesentlich effizienter organisieren können.
Es sind daher wahrscheinlich weniger die "Vereinigten Staaten von Amerika", die als Muster für eine generalüberholte EU der Zukunft taugen - viel eher scheint das Modell der schweizerischen Eidgenossenschaft mit ihren recht autonomen und miteinander konkurrierenden Kantonen geeignet, die evidenten Vorteile der EU erhalten, gleichzeitig aber deren Dysfunktionalitäten entsorgen zu können.
Einfach wird das nicht. Aber alle vorstellbaren Alternativen dazu werden noch viel schwieriger sein.
ortner@wienerzeitung.at