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Erfolg hängt an einem Haar

Von Eckart Granitza

Wissen
Der Biotechnologe Roland Lauster am Photonenmikroskop. Foto: Granitza

Vor der Implantation in kahle Schädel sind noch klinische Studien nötig. | Ideales Material zum Ersatz von Tierversuchen. | Berlin. Biotechnologen der Technischen Universität (TU) Berlin haben jetzt den weltweit ersten Haarfollikel samt Haar in vitro gezüchtet. Der Haarfollikel ist das Organ, an dessen unterem Ende das Haar gebildet wird. Der aus körpereigenen Stammzellen im Labor gezüchtete Follikel ist zwar noch etwas dünner als ein normales Kopfhaar, wird in Zukunft aber nicht nur zur Implantation von neuem Haupthaar und der Erforschung des Haarausfalls dienen, sondern er wird auch schon bald Millionen von Tierversuchen überflüssig machen.


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Weltweit sind hunderte Millionen Menschen von Haarausfall betroffen. Aus Kostengründen sind gerade Kliniken in Osteuropa und in der Türkei voll mit Männern aus Westeuropa, die sich Haare auf die kahlen Stellen ihres Kopfes transplantieren lassen. Bei der häufigsten Methode, der sogenannten Eigenhaartransplantation, wird die eigentliche Problematik, nämlich die genetische Veranlagung zum Haarausfall, letztlich nicht verändert, sondern die vorhandenen Haare werden nur regelmäßiger verteilt. Der vorprogrammierte Haarverlust lässt sich so nicht langfristig aufhalten.

Dem vom Biotechnologie-Professor Roland Lauster geleiteten Team aus Biotechnologen und Medizinern ist es jetzt gelungen, künstliche Haarfollikel im Labor zu züchten. Diese Haarfollikel können schon jetzt als Testsysteme für die Erforschung der Ursachen des Haarausfalls zur Verfügung gestellt werden. Doch Lauster sieht in naher Zukunft auch sehr gute Chancen, die aus dem Eigenhaar gezüchteten Follikel in die kahlen Schädel der vom Haarausfall geplagten Männer zu implantieren. Dazu müssen aber, wie bei allen medizinischen Neuentwicklungen, zuerst noch klinische Studien durchgeführt werden, die eine Gefährdung des Menschen ausschließen und eine Wirksamkeit der Haarverpflanzung reproduzierbar nachweisen. Die Vorbereitungen dazu sind schon im Gange, sagt Lauster.

Neben der Untersuchung von Haarwachstum, Haarstruktur und Pigmentierung können an diesen im Labor hergestellten Haarfollikeln auch die Wirksamkeit von Substanzen sowie deren toxischen Nebenwirkungen getestet werden. Denn die Haut ist für Nanopartikel fast undurchlässig. Mit einer Ausnahme: dem Weg über die Haarfollikel. Deshalb bedient die neue Erfindung auch einen gigantischen Markt: die Testung von neuen Kosmetika und pharmazeutischen Cremes und Salben.

Chance für Kosmetikindustrie

Die rasante Entwicklung von immer neuen Kosmetika und pharmazeutischen Wirkstoffen ließ die Zahl der Tierversuche in den letzten Jahren exponentiell ansteigen. Seit 1950 ist die Entwicklung neuer Chemikalien um das Fünfhundertfache gestiegen, ebenso wie die Tierversuche zur Zulassung derselben, sagt Lauster. Um diese enorme Anzahl an Leid schaffenden Tierversuchen einzudämmen, ist eine künstliche Haut samt den Haarfollikeln ideal, da sie schon in einer Vorphase die meisten Tierversuche überflüssig macht. Denn wenn der Haarfollikel mit einer toxischen Substanz in Kontakt kommt, würde er einfach eingehen. Man bräuchte sie also nicht mehr an Tieren auszuprobieren. Die kosmetische Industrie darf laut EU ab 2013 ihre Produkte sowieso nicht mehr durch Tierversuche testen. Sie sucht händeringend nach anderen Methoden. Da wäre eine im Labor gezüchteten Haut samt Follikel natürlich ideal.

Doch Lauster, der mit dem Mediziner Uwe Marx kooperiert, will noch weiter hinaus. Die beiden Forscher wollen bis 2013 nicht nur den Haarfollikel als Testsystem etablieren sondern auch noch andere Miniorgane wie eine kleine Leber, eine Mininiere und etwas Knochenmark züchten. Diese werden dann in einen Multiorgan-Biochip gesetzt und sollen so eine schnelle und sichere Methode darstellen, Kosmetika und pharmazeutische Wirkstoffe auf ihrem Weg zur Zulassung zu prüfen.

Prüfung toxischer Wirkungen

Dieser vom Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS entwickelte Chip ermöglicht die Versorgung von Zellen und Organoiden in einem geschlossenen Mikrokreislauf. Große Systeme, wie eine komplette Leber oder eine Niere nachzubauen, hat bis jetzt noch nie richtig funktioniert, Miniorgane aber schon, erklärt Lauster. Denn kleine Organe kann man relativ einfach über das umgebende Medium mit Nährstoffen versorgen, wogegen man für große Organe ein ganzes Blutsystem aufbauen muss.

In den kleinen Kammern des Chips schaffen die Wissenschafter ein Milieu, wie es auch in kleinen Organeinheiten herrscht. Dafür haben sie die Kammern mit einem Röhrensystem verbunden, mit dem sie den Blutstrom simulieren. In diesem Ambiente sollen sich die jeweiligen Stammzellen so wohl fühlen, dass sie das machen, was sie in der Organogenese des normalen Organismus sowieso tun: nämlich auf bestimmte Weise zu kommunizieren, sich zu organisieren und so dann ein Organ aufzubauen. In Zukunft wäre dann, so Lauster, eine Großdurchsatztechnik, also bis zu hundert solcher Mikrochips aneinander gereiht, ideal, um toxische Wirkungen von Substanzen schnell und sicher abzuschätzen.