Geschlossene Balkanroute und EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei führen zu weniger Asylsuchenden in Deutschland.
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Berlin/Rom/Wien. "Das ist nicht die Lösung des Gesamtproblems." Ablehnend kommentierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am 10. März die faktische Schließung der Balkanroute. Tags zuvor war der Weg der Migranten über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich und schließlich Deutschland drastisch erschwert worden. Die Balkanroute kam Innenminister Thomas de Maizière zwar nicht über die Lippen, als er am Freitag die deutschen Asylzahlen präsentierte. Lieber sprach der CDU-Politiker davon, "dass die Maßnahmen auf deutscher und europäischer Ebene greifen". Doch ohne die zwischen Österreich und Westbalkan-Staaten koordinierte Schließung hätte de Maizière keine "deutliche Entspannung bei der Flüchtlingskrise" konstatieren können.
In der Spitze kamen 2015 bis zu 206.000 Asylsuchende monatlich in Deutschland an, selbst im winterlichen Jänner dieses Jahres waren es noch knapp 92.000. Doch seit der Kehrtwende sinken die Zahlen rapide: Von April bis Juni wurden pro Monat nur noch rund 16.000 Personen in den Erstaufnahmezentren registriert. Erreichten 2015 knapp 1,1 Millionen Asylsuchende Deutschland, waren es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 220.000.
Merkel wieder populärer
Seitdem die Flüchtlingszahlen sinken, steigt Merkels Popularität wieder. Die Kanzlerin nähert sich ihren Beliebtheitswerten vom September 2015. Damals öffnete sie die Grenzen für Asylsuchende, zu diesem Zeitpunkt waren knapp zwei Drittel der Deutschen mit Merkels Arbeit zufrieden. Bis Februar sank der Wert auf desaströse 46 Prozent, um mittlerweile bei 59 Prozent zu liegen. Und kaum gibt es keine öffentlich ausgetragenen Scharmützel zwischen Merkel und dem bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer, legt die konservative Union in Umfragen zu; sie kommt derzeit auf 34 Prozent. Der Koalitionspartner SPD dümpelt bei 22 Prozent, ergab eine Umfrage für den ARD Deutschlandtrend.
Zum derzeitigen Hoch von CDU/CSU trug auch die ruhige Hand der Kanzlerin beim Brexit bei. Im Gegenzug verlor die äußerst EU-kritische Alternative für Deutschland (AfD) deutlich und liegt bei zwölf Prozent. Der Protest gegen Merkels Flüchtlingspolitik trieb die nationalkonservativ-rechtspopulistische Partei in den vergangenen Monaten in bisher ungeahnte Umfragehöhen. Derzeit sind die beiden AfD-Parteichefs Frauke Petry und Jörg Meuthen aber primär mit der gegenseitigen Demontage beschäftigt. Merkel und ihre Parteifreunde können sich daher berechtigte Hoffnungen machen, dass abgewanderte Unions-Anhänger wieder den Weg zurück finden.
Groß ist in der Bevölkerung jedoch der Unmut über die Türkei - mit dem Abkommen vom März der zentrale Partner von Merkel und der EU, um die Balkanroute zu schließen. Nach den Kapriolen und Drohungen von Staatschef Recep Tayyip Erdogan sehen neun von zehn Deutschen die Türkei nicht als "vertrauenswürdigen Partner". Merkels gestiegene Beliebtheit zeigt aber, wo die Prioritäten der Bürger letztlich liegen. "Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass das auch in den nächsten Monaten so bleibt", gab sich de Maizière am Freitag aber keiner Illusionen über die Zuverlässigkeit Erdogans hin.
Sorgen, wonach Migranten künftig von Griechenland und Albanien über das Mittelmeer nach Italien gelangen könnten, scheinen sich bisher nicht zu bewahrheiten. Das zeigt auch ein Blick auf die Länder, aus denen Asylsuchende stammen: Die mit Abstand größte Gruppe für Deutschland stellen dabei Syrer, dahinter folgen Afghanen und Iraker.
Nach Italien kommen primär Personen aus afrikanischen Staaten. Die Zahl der Asylsuchenden in Italien ist in den ersten sechs Monaten 2016 mit knapp 71.000 gleich gegenüber dem Vorjahr geblieben. Doch rechnen die Italiener dieses Jahr mit einem drastischen Anstieg von Neuankommenden, insbesondere im Sommer. Die Prognosen übertreffen dabei sogar die Zahlen des vergangenen Jahres. Auf Initiative von Premier Matteo Renzi arbeitete die EU-Kommission ein Programm für "Afrika-Partnerschaften" aus. Die Finanzierung ist jedoch vage. Noch schlechter ist es darum bestellt, 160.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland umzusiedeln: Bisher wurden von den anderen EU-Ländern nur 7920 Plätze bereitgestellt.