Umfragen zufolge könnte der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron die französische Präsidentschaftswahl Anfang Mai gewinnen.
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Paris. "Das ist ein Verführer", sagt die Dolmetscherin anerkennend, als sie auf den unabhängigen Präsidentschaftskandidaten angesprochen wird, dessen Rede sie simultan übersetzen sollte. Sie sei es eigentlich gewöhnt, dass Politiker bei solchen Ereignissen schnurstracks an ihr vorbei auf die Bühne marschieren. "Doch Emmanuel Macron kam kurz in meine Kabine, um mich zu begrüßen." Und das machte ihr mindestens ebenso viel Eindruck wie seine sachlichen Argumente.
Macron gilt als überraschender Senkrechtstarter in diesem französischen Wahlkampf. Als er vor einem Jahr, damals noch als Wirtschaftsminister in der sozialistischen Regierung, seine Partei "En marche!" ("In Bewegung!") gründete, Ende August das Kabinett verließ und sich gegen seinen politischen Mentor François Hollande in die Kampagne stürzte, galt dieses Vorgehen als halsbrecherisch. Macron hatte weder einen großen Parteiapparat hinter sich noch eine lokale Verankerung.
Doch dank sozialer Netzwerke wuchs "En marche!" schnell. Freiwillige führten Tür-zu-Tür-Befragungen im ganzen Land durch und machten auf Basis der Antworten Vorschläge, die Macron in sein Programm einarbeitete. Dazu gehören der Umbau der Rentenversicherung, um beim Staat und in der Privatwirtschaft Beschäftigte gleicher zu behandeln, ein Investitionsprogramm und eine Lockerung des Arbeitsrechtes - anstatt die 35-Stunden-Woche pauschal abzuschaffen, sollen Vereinbarungen auf Betriebs- und Branchenebene Vorrang haben.
Als einziger Kandidat verpflichtet sich der 39-Jährige, das Defizitkriterium von drei Prozent einzuhalten, und wirbt für eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit. Heute zählt "En marche!" mehr als 200.000 Mitglieder und will bei den Parlamentswahlen im Juni in allen Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Denn sollte Macron bei den Präsidentenwahlen am 23. April und 7. Mai siegen, braucht er auch eine Mehrheit in der Nationalversammlung, um seine Ideen umsetzen zu können. Er hat angekündigt, sowohl mit der gemäßigten Linken wie der Rechten und natürlich der politischen Mitte zusammenarbeiten zu wollen - mit allen "Progressisten". Deshalb ist die Unterstützung des Chefs der Zentrumspartei MoDem François Bayrou, aber auch des grünen Ex-EU-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit so wichtig für ihn.
Dass ihn nach der britischen Premierministerin Theresa May letzte Woche auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin empfing, stärkt ihn ebenfalls. Vor allem profitiert Macron von der Schwäche seiner Gegner: Marine Le Pen liegt in Umfragen zwar vorne, doch ein Sieg bei der Stichwahl scheint unwahrscheinlich. Der Konservative François Fillon ist durch den Skandal um Scheinbeschäftigung seiner Frau stark geschwächt. Die Sozialisten wiederum wählten mit Benoît Hamon einen Parteilinken zum Kandidaten, der sich sehr abseitig positioniert. Immer mehr Sozialisten schließen sich Macron an.
Der Arztsohn Macron ist Teil der Elite. Nach einem Philosophiestudium besuchte er die Kaderschmiede ENA. Im Anschluss trat er zunächst in die staatliche Finanzinspektion ein, das Kontrollorgan im Wirtschafts- und Finanzministerium. 2008 wechselte er zur privaten Bank Rothschild & Cie, bis er nach Hollandes Wahl 2012 dessen Wirtschaftsberater wurde und zwei Jahre Wirtschaftsminister.
Am Montagabend fiel mit der ersten Debatte der fünf aussichtsreichsten Kandidaten im französischen Fernsehen der Startschuss für den Intensivwahlkampf. Die Diskussion war zu Redaktionsschluss noch im Gange, in ihren ersten Statements machten die Kandidaten bereits deutlich, wofür sie stehen: Macron, der nach einer aktuellen Umfrage im zweiten Wahlgang 60 Prozent der Stimmen auf sich vereinen könnte, betonte, dass er mit seiner Partei eine radikal neue Politik machen wolle. Marine Le Pen legte indes Wert auf die Eigenständigkeit Frankreichs: "Ich will nicht die die Vizekanzlerin von Frau Merkel sein", betonte sie.