Beim Sondergipfel könnte die EU in der Ukraine-Frage Einigkeit demonstrieren. Oder Putin in die Hände spielen.
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Sondergipfel sind nicht ungewöhnlich für die Staats- und Regierungschefs der EU, dringende Angelegenheiten dulden gerade auf höchster Ebene keinen Aufschub. Der für Montag angesetzte Sondergipfel macht da allerdings eine Ausnahme - Ratspräsident Charles Michel berief das Treffen, das völlig im Zeichen des Kriegs gegen die Ukraine steht, schon vor mehr als sieben Wochen ein.
Seither haben sich die Ereignisse überstürzt, entsprechend vage blieb bis zuletzt die Tagesordnung. Einer der Hauptpunkte wird die Ernährungssicherheit sein, es geht weiters um Verteidigungsfragen - Michel reiste dieser Tage eigens nach Schweden und Finnland, um den Beitritt der beiden Länder zur Nato zu begrüßen - sowie um die Unterstützung der Ukraine auf allen Ebenen. Und natürlich stehen auch alle akuten Energiefragen auf der Tagesordnung.
Öl-Embargo kein Thema
Um ein "heißes" Thema macht man aber zumindest offiziell einen großen Bogen: Das Öl-Embargo, Kernstück und Streitpunkt im von der EU-Kommission vorgeschlagenen sechsten Sanktionspaket gegen Russland, soll den Sondergipfel nicht zum Hahnenkampf werden lassen.
Hauptgegner Viktor Orban hat schon im Vorfeld klar Schiff gemacht. In einem Brief an Michel schrieb er vor wenigen Tagen, es würde "kontraproduktiv" sein, das heikle Thema am Sondergipfel zu diskutieren, solange kein Konsens in Sicht sei. Ungarn bleibt dabei, dass so ein Embargo zu schweren Störungen der Energieversorgung und einem extremen Preisanstieg führen würde, und spricht damit auch einigen anderen Ländern aus der Seele, die das freilich nicht so gerne an die große Glocke hängen wollen. Und so stellte auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die Orban eigens in Budapest besucht hatte, fest, dass der Gipfel eher nicht der richtige Ort für diese Entscheidung sein werde.
Ungarn verlangt unter anderem Ausnahmen, die über das Jahr 2024 hinausgehen, und finanzielle Abgeltungen in Höhe von 15 bis 18 Milliarden Euro, was völlig illusorisch erscheint. Erwartet wird, dass sich Michel dem Druck Ungarns beugt und das Embargo, wenn überhaupt, nur im bilateralen Teil des Gipfels, außerhalb des Protokolls, angeschnitten wird.
Überraschenderweise ließ Charles Michel dieser Tage aber mit der Meldung aufhorchen, ein Kompromiss sei vor dem Gipfel durchaus möglich. Das hat Spekulationen befeuert, man könnte um des Friedens und der EU-Einheit willen einen Vorschlag aufgreifen, der eigentlich schon in einer frühen Phase verworfen worden war: Das Öl-Embargo könnte sich in einer ersten Phase ausschließlich auf Schiffslieferungen beziehen. Damit wären Binnenländer wie Ungarn (und Österreich) aus dem Schneider.
Manche bringt das auf die Palme: Der grüne EU-Parlamentarier Daniel Freund schrieb ebenfalls an den Ratspräsidenten und forderte, er solle Orban gar nicht erst teilnehmen lassen. Begründung, auch unter Bezug auf die Verlängerung des Notstandes in Ungarn: "Im Europäischen Rat dürfen nur Demokraten sitzen."
Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders: Die EU-Mitgliedsländer werden nicht müde, ihre Geschlossenheit und Einheit zu demonstrieren. Der Gipfel böte also die Chance für ein starkes Zeichen. Das Sanktionspaket könnte umgesetzt werden, selbst wenn Öl und Gas ausgeklammert sind und zu einem späteren Zeitpunkt beschlossen werden. Immerhin ist weiterhin der russische Bankensektor im Visier und gerade eben hat die Kommission neue Vorschläge gemacht, wie man die Vermögenswerte sanktionierter Oligarchen nicht nur einfrieren, sondern auch gleich rechtlich astrein beschlagnahmen und zu Geld machen könnte, das wiederum in den Wiederaufbau der Ukraine fließen würde.
Befreiungsschlag nötig
Setzt sich Orban durch, kann sich Putin dennoch ins Fäustchen lachen. Und Ursula von der Leyen hätte sich durch die frühe Veröffentlichung des Planes verpokert. Bei seinem Besuch in der Ukraine vor einigen Wochen, der Charles Michel unter anderem zu Präsident Wolodymyr Selenskyj und dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Shmyhal führte, ergab sich auch ein Lokalaugenschein in Odessa. Er habe dort Millionen Tonnen Weizen und Getreide gesehen, deren Ausfuhr von der russischen Armee blockiert wird, sagte Michel nun in Schweden: "Die Schwächsten auf der Welt werden den höchsten Preis bezahlen." Russland trage die alleinige Verantwortung für kommende Hungersnöte, aber Europa sei entschlossen, diese globale Katastrophe zu verhindern. Der EU-Gipfel wird nun aller Voraussicht nach auf Frankreichs "FARM"-Initiative einsteigen, die über die drei Säulen Handel, Solidarität und Produktion die Ernährungssicherheit der am stärksten gefährdeten Länder gewährleisten soll.
Ein weiterer Punkt, der nicht auf der Tagesordnung steht, ist der EU-Beitrittsantrag der Ukraine. Das wird, möglicherweise im Paket mit Georgien und Moldau, beim nächsten regulären Gipfel behandelt - der ohnehin schon in nicht einmal vier Wochen ist. Ein Teil der Staats- und Regierungschefs wird übrigens nach dem EU-Gipfel in Brüssel gleich ins bloß eineinhalb Stunden entfernte Rotterdam weiterreisen: Beim EVP-Parteitag wird Fraktionschef Manfred Weber auch zum Chef der Parteienfamilie gewählt. Weber gibt zumindest für jene acht Mitgliedsländer, die die EVP für sich verbuchen kann, den Rahmen vor:
Die EU brauche nun dringend einen Befreiungsschlag, ein vollständiges Öl-Embargo sei nötig. Und, angesichts von Orbans Blockadehaltung, auch endlich das Ende der Einstimmigkeit im Rat.