Zum Hauptinhalt springen

Erfolgsmodell Oman

Von Ingrid Thurner

Gastkommentare

Gastkommentar: Sultan Qabus gelingt die Synthese von Tradition und Globalisierung. Selten vereint ein Herrscher so viel Macht auf seine Person und ist zugleich beim Volk so beliebt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Da in der herrschenden Medienkultur nur schlechte Nachrichten überhaupt Nachrichten sind, ist immer nur von Konflikten und Kriegen, Gewalt und Unterdrückung zu lesen und zu hören, wenn es um arabische oder islamische Länder geht. Erfreuliche Entwicklungen schaffen es selten an die mediale Öffentlichkeit, daher hat der Umkehrschluss durchaus Gültigkeit: Ein Land, über das nicht berichtet wird, ist wohl ein gutes Land. Ein solches Beispiel ist das Sultanat Oman.

Dort ist es gelungen, aus einer rückständigen, vom Rest der Welt abgeschiedenen Stammesgesellschaft in wenigen Jahrzehnten einen funktionierenden, prosperierenden Staat zu machen. Lange Zeit schien das 20. Jahrhundert vor den buchstäblich verschlossenen Toren der Hauptstadt Masqat ausgesperrt, bis 1970 waren Radiogeräte ebenso verboten wie Sonnenbrillen und Fahrräder, es gab keine Krankenhäuser, nur Koranschulen und ganze sieben Kilometer Asphaltstraße.

Zu danken ist die rasante Entwicklung seither nicht nur den Erdöl- und Erdgasfunden im Landesinneren, sondern auch Sultan Qabus, der beharrlich und aufgeschlossen ein Projekt nach dem anderen in Angriff nimmt und es versteht - auf der Basis einer gelungenen Verknüpfung von staatlichen und tribalen Strukturen - Tradition, Islam und Moderne zu einer glücklichen Symbiose zu vereinen.

Freilich, nach westlichen Maßstäben müsste das hässliche Wort "Diktator" auf ihn angewandt werden - aber westliche Maßstäbe sind nicht immer in der Lage, politische und gesellschaftliche Strukturen angemessen zu beschreiben. So ist der Sultan zwar ein absoluter Monarch, ein politischer Alleinherrscher, zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Aber er ist einer, der den Ölreichtum nicht für sich alleine, seine Dynastie und seinen Hofstaat einsetzt, sondern die gesamte Bevölkerung teilhaben lässt, Gastarbeiter eingeschlossen.

Verfassung verbietet Diskriminierung

Die Verfassung von 1996 beinhaltet das Verbot der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion, Wohnort oder sozialer Zugehörigkeit, außerdem den Schutz von Leben und Eigentum von Ausländern. Und so fühlen sich selbst die Gastarbeiter wohl im Land; sie sind sich einig, dass es ihnen im Sultanat besser geht als in den Emiraten oder in Saudi-Arabien, auch wenn sie wissen, dass das politische Ziel "Omanisierung" lautet und dass sie wieder gehen müssen, wenn ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird.

Techniker, Ingenieure und Musiker kommen aus Europa, Tourismusfachkräfte aus Ägypten und Tunesien. Inder, Pakistani und Balutschen leben mit ihren Familien seit Generationen in den Küstenstädten, sie kamen als Kaufleute in jenen Zeiten, als der Oman seine Hochblüte als Seefahrernation erlebte. Die besten Restaurants werden von Pakistani und Indern geführt. Inder spielen überhaupt eine große Rolle in Berufen, in denen etwas zu organisieren ist. Und jene Arbeiter, die mit den Händen zupacken, in der Öl- und Gasindustrie, im Baugewerbe und in den Haushalten, stammen aus Afghanistan, Sri Lanka, Bangladesch.

In Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten, in Südasien - den Arbeitskräfte entsendenden Gebieten - gelten die Omani als nicht so arrogant und hochnäsig wie die Bewohner der anderen ölreichen Staaten auf der arabischen Halbinsel, wenngleich es auch im Oman für Expats schwierig bis unmöglich ist, mit den Einheimischen zu verkehren. Sie bilden soziale Enklaven und pflegen Umgang untereinander.

Diplomatisches Kunststück, mit allen gut Freund zu sein

Außenpolitisch versucht die Regierung das diplomatische Kunststück, mit all den untereinander eng verfeindeten Staaten der Region gut Freund zu sein. Geopolitisch am äußersten Rand Südostarabiens gelegen und außerhalb der (teils benachbarten) Brandherde, kann sich der Sultan auch immer wieder als Vermittler profilieren, etwa in der Palästina-Frage, im Jemen-Krieg oder in der Katar-Krise. Der Oman gehört nicht der derzeitigen von Saudi-Arabien angeführten Koalition in dem absurden und menschenverachtenden Krieg an, der auf jemenitischem Boden und auf Kosten der jemenitischen Bevölkerung gegen den Iran geführt wird. Die dadurch zerrütteten Beziehungen zwischen Riad und Teheran haben sich auf Vermittlung des Sultans zuletzt wieder deutlich verbessert.

Mit der Strategie des Fernhaltens setzt man sich freilich auch dem Vorwurf aus, die jeweils andere Seite zu begünstigen. So gab es den Verdacht von iranischem Waffenlieferungen über omanisches Territorium nach Jemen, die aber vermutlich ohne Wissen und Billigung der Behörden erfolgten. Und im Land herrscht eine gewisse Angst, dass der Krieg in den Oman überschwappen könnte, dass die terroristischen Gruppen, die sich im jemenitischen Machtvakuum tummeln, ihre Aktivitäten über die rund 300 Kilometer lange gemeinsame Grenze ausdehnen könnten.

Arabischer Frühling verlief vergleichsweise gemächlich

Der Arabische Frühling hat 2011 auch im Oman zu Demonstrationen geführt, aber verglichen mit dem Aufruhr anderswo verliefen die Ereignisse gemächlich. Es ging um mehr Wohlstand und höhere Löhne, gegen Korruption bei hohen Beamten und gegen einzelne Minister. Und die Demonstranten verlangten mehr politische Freiheit. Der Sultan reagierte rasch mit Reformen im Staatsapparat und einer Regierungsumbildung, mit einer Erhöhung des Mindestlohns und der Schaffung von Beamtenposten. Das Parlament wurde aufgewertet: Es hat nicht mehr bloß beratende, sondern auch gesetzgebende Kraft; Gesetzesentwürfe müssen nun beiden Kammern zur Genehmigung vorgelegt werden, bevor der Sultan sie absegnet.

Die Atmosphäre im Land ist überwiegend angenehm, gelassen, ruhig bis heiter. Gewiss hat daran die Religion ihren Anteil, die Ibadiya, eine muslimische Lehre, der rund zwei Drittel der Bevölkerung anhängen. Nach deren Rechtsschule müssen religiöse Texte und Glaubensinhalte immer wieder entsprechend den Anforderungen der Zeit neu interpretiert werden; eine Richtung also, die Modernismen gegenüber aufgeschlossen ist, andererseits aber das, was sich bewährt hat, gerne beibehält. Zudem darf man die eigenen religiösen Überzeugungen niemandem aufzwingen. Daraus folgt eine liberale Haltung gegenüber Andersdenkenden.

Von seinen Untertanen wird der Sultan nicht nur geachtet, sondern regelrecht geliebt; sie nennen ihren autokratischen Herrscher respektvoll "unsere Majestät". Aber Qabus ist 77 Jahre alt, als Schwerkranker war er monatelang zur Darmkrebsbehandlung in Deutschland, in Garmisch-Partenkirchen besitzt er ein Anwesen. Das Erfolgsmodell Oman in seiner gegenwärtigen Form hängt wesentlich an der charismatischen Persönlichkeit des Monarchen, und so blicken auch die Bewohner des Oman in eine unsichere Zukunft.

Zur Autorin

Ingrid Thurner

ist Kultur- und Sozialanthropologin, Ausstellungskuratorin und Lektorin an der Universität Wien mit den Forschungsschwerpunkten Mobilitäten und Fremdwahrnehmungen.